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Gut behütet oder übertrieben verzärtelt? Pferde eindecken

Eindecken oder nicht eindecken?

Nahezu jeder Pferdebesitzer steht irgendwann vor der Frage, ob auch er sein Pferd im Winter eindecken soll. Tut er seinem Pferd damit etwas Gutes oder schadet er ihm sogar? Für die Dressur-Studien ist Swea Menser dieser Frage nachgegangen und hat Freizeitreiter und Profis befragt.

Appaloosa pony and border collie runs gallop in winter

The same procedure as every year?

Jedes Jahr im Herbst vollzieht sich in den Reitställen landauf, landab ein immer gleiches Ritual: Sobald die Tage kürzer werden und die Temperaturen unter die eigene Wohlfühlmarke sinken, fangen die ersten Pferdebesitzer an, ihre Vierbeiner einzudecken. Schnell ziehen weitere nach.
Die Reitsportindustrie hat sich schon längst auf den Decken-Boom eingestellt. Egal ob Abschwitzdecke, Fliegendecke, Stalldecke oder atmungsaktive Regendecke – es gibt nahezu alles, was das Reiterherz begehrt. Kaum eine andere Frage aber erhitzt die Gemüter von Reitern und Pferdebesitzern so sehr wie die, ob das Eindecken im Winter überhaupt sinnvoll und notwendig ist.
Die Decken-Befürworter führen ins Feld, dass sie ihren Pferden mit dem Eindecken eine Erleichterung verschaffen. Hella Ridder, Reitlehrerin und Dressurreiterin aus Nordrhein-Westfalen, deckt ihre Pferde rechtzeitig vor dem Wachstum des Winterfells ein. Sie will damit verhindern, dass das Fell zu dicht und lang wird und ihre Pferde bei der Arbeit zu stark schwitzen. Hella Ridder: „Seitdem ich das so praktiziere, trocknen meine Pferde nach dem Reiten viel schneller. Sie sind außerdem leistungsbereiter. Keines meiner Pferde hat seitdem gehustet.“ Die Besitzerin eines im Offenstall gehaltenen Vollblüters hingegen greift im Winter zur Decke, weil sich ihr Wallach bei nasskaltem Schmuddelwetter verspannt. Weiterer Vorteil des Eindeckens: Die Pferde sind immer trocken und sauber. Langes Putzen entfällt – eine Zeitersparnis gerade für berufstätige Reiter.
Nicht minder engagiert tragen die Decken-Gegner ihre Argumente vor. Ihrer Meinung nach benötigen gesunde Pferde überhaupt keine Decke. So sieht es auch die Reiterin einer 15jährigen Warmblutstute, welche ebenfalls im Offenstall wohnt. Die Besitzerin hat noch nie beobachtet, dass ihr Pferd im Winter friert. Im Gegenteil empfindet sie das Eindecken als schädliche Verweichlichung der Pferde und befürchtet, dass sich Pferde, die sich beim Wälzen in den Deckengurten verheddern, schwer verletzen können.
Aber wer hat nun recht? Ist das Eindecken hilfreich und nützlich oder schadet es vielmehr? Um das Fazit vorwegzunehmen: Es gibt keine allgemein gültige und auf jeden individuellen Fall übertragbare Antwort auf diese Frage. Auch die Experten sind sich hier nicht einig.

Das Wärmekraftwerk der Pferde
Unstrittig ist, dass Pferde über einen ausgeklügelten Mechanismus zur Wärmeregulation verfügen und Temperaturschwankungen von bis zu 40 Grad problemlos verkraften. Die Komforttemperatur für Pferde liegt zwischen minus 15 und plus 25 Grad, wobei sich das Optimum bei fünf Grad trockner Kälte befindet – also deutlich unter den Temperaturen, die vom Menschen noch als angenehm empfunden werden. Erst bei minus zehn Grad beginnen Pferde mit normalem Winterfell, über einen vermehrten Stoffwechsel für mehr Körperwärme zu sorgen.
Dr. Maximilian Pick, Fachtierarzt für Pferde aus dem bayerischen Icking, steht demzufolge auf dem Standpunkt, dass es zwar viele Gründe für das Eindecken gibt, aber nur wenige davon seien auch vernünftig. „Pferde, die artgerecht gehalten werden und deren Thermoregulationsmechanismus funktioniert, erkälten sich nicht, auch dann nicht, wenn sie in Zugluft stehen oder nass sind. Gesunde und artgerecht gehaltene Pferde brauchen also keine Decke,“ so Dr. Pick. Einzig bei einem Notfall – bei einer Kolik, nach einem Unfall oder bei schwerem Blutverlust – könne es medizinisch notwendig sein, das Pferd mit einer Decke vor einem weiteren Temperaturverlust zu bewahren. Eindecken, weil dem Menschen kalt ist und er dieses Empfinden auf sein Pferd überträgt, schadet laut Pick mehr, als das es nutzt. Eingedeckte Pferde könnten ihren Thermoregulationsmechanismus nicht mehr ausreichend trainieren. Ihr Organismus wird anfälliger.

Pauschale Antworten gibt es nicht
Picks Kollege Dr. Christian Schütte aus Bonn macht die Beantwortung der Frage davon abhängig, wie das Pferd genutzt wird. Bei reinen Freizeitpferden, die im Winter weniger geritten werden als im Sommer, empfiehlt er, auf das Eindecken zu verzichten. Dr. Schütte: „Ich habe lange Zeit in Bayern gearbeitet und dabei oft beobachten können, dass es Pferden mit gutem Winterfell noch nicht einmal etwas ausmacht, wenn Schnee auf ihrem Rücken liegt. Ihre Thermoregulation schützt sie davor, sich zu erkälten.“ Einzige Ausnahme für ihn sind Pferde, die alt, krank oder gegenüber nasskalten Witterungen besonders empfindlich sind.
Bei Sportpferden, die auch im Winter intensiv gearbeitet werden, verhindert frühzeitiges Eindecken laut Schütte, dass die Pferde ein zu dichtes Winterfell bekommen und zu stark schwitzen. Auf Scheren kann möglicherweise sogar verzichtet werden, was für Schütte sinnvoller ist. Geschorenen Pferden fehlt die isolierende Luftschicht, weswegen sie schneller frieren und sich auch leichter erkälten können.

Eine ähnliche Position vertritt der Vielseitigkeitsreiter Hinrich Romeike. Für Romeike gehören Scheren und Eindecken allerdings zwingend zusammen. Sein Pferd Marius, mit dem er die Mannschaftsgoldmedaille bei den Weltreiterspielen in Aachen 2006 gewann, wird im Winter unvermindert intensiv trainiert. Damit Marius nicht so stark schwitzt und nach dem Reiten schneller trocknet, wird er rechtzeitig geschoren. Eine Decke schützt ihn dann vor der Kälte. Frühzeitiges Eindecken, um das Fellwachstum zu beeinflussen, bringt Romeikes Auffassung nach nicht viel. Auch eingedeckte Pferde bekämen ein dichteres Winterfell und würden deutlich mehr schwitzen als ihre geschorenen Artgenossen. Solche Pferde würde man nach intensiver Arbeit kaum mehr trocken bekommen. Ungeschorene Pferde deckt Romeike nicht ein.
Jochen Schumacher vom FS Reit-Zentrum in Reken möchte die Frage nach Sinn oder Unsinn des Eindeckens nicht pauschal beantworten: „Pferdebesitzer sollten ihre Tiere gut beobachten und individuell entscheiden, ob ein Eindecken sinnvoll ist oder nicht.“ Für Schumacher ist dies abhängig von der Haltungsform, der Rasse, den Witterungsverhältnissen und dem Gebrauch des Pferdes. In den rassegemischten Gruppen in Reken beobachtet Schumacher häufig, dass empfindlichere Pferde mit feinerem Winterfell die zur Verfügung stehenden Unterstände auch bei nasskaltem Wetter oftmals nicht aufsuchen und schnell frieren. „Islandpferden und anderen Robustrassen kann auch der typische westfälische Winter mit Temperaturen um die 5 Grad plus und Regen nicht viel anhaben. Bei Warmblütern und vielen Vollblütern sieht das aber schon ganz anders aus. Ihr Winterfell schützt sie zwar gegen Kälte, aber nicht so gut gegen Nässe.“ Schumacher empfiehlt Besitzern empfindlicherer Pferde daher, ihre Vierbeiner mit einer leichten Allwetterdecke einzudecken, damit sie bei jedem Wetter den Auslauf mit Artgenossen genießen können. Für ihn stellt das Eindecken einen Kompromiss dar, den er gern eingeht, um allen Pferden ganzjährig eine Auslaufhaltung zu ermöglichen.

Ob das eigene Pferd nun im Winter eingedeckt wird oder nicht, diese Frage muss jeder Pferdebesitzer also individuell für sich selber beantworten. Den Vierbeiner genau zu beobachten und die eigenen Beweggründe für oder gegen das Eindecken selbstkritisch zu hinterfragen, sind Voraussetzungen für eine Entscheidung, bei der das Wohl des jeweiligen Pferdes immer im Vordergrund steht.