Glänzend erscheinen sie, die reiterlichen Fähigkeiten der antiken Griechen. Bildlich festgehalten auf Vasenmalereien und im weltbekannten Parthenonfries. Aber es ist nicht alles Gold, was glänzt! Der künstlerische Wert des Frieses ist und bleibt unbestritten. Die hoch gelobte Reitkunst der alten Griechen sollte hingegen dringend überdacht und neu diskutiert werden – und dazu gehört auch die Rolle Xenophons. Die Journalistin und Fotografin Christiane Slawik hat für die Dressur Studien das Parthenonfries und Xenophons Schrift unter die Lupe genommen. (Am Ende des Artikels finden Sie einen Link zur Erwiderung dieses Artikel von Dr. Klaus Widdra und von Michael Putz)
DIE PFERDE DES PARTHENONFRIESES: VOLLENDETE VERSAMMLUNG ODER SCHMERZVOLLE SPANNUNG?
Phidias war ein Meister der Bildhauerei. Sein künstlerisches Schaffen gipfelte 500 vor Christus in seinem rund 160 Meter langen Parthenonfries (Ausschnitt Zeichnung 1).
Ursprünglich für den Parthenontempel der Akropolis gedacht, illustriert es einen Festzug zu Ehren der Göttin Athene. Heute zeigt das Britische Museum in London 215 Reiter als Reste des Frieses, das in der bildenden Kunst in Bezug auf ausdrucksvolle Pferdedarstellungen bis in unsere Zeit hinein fast unerreicht blieb.
Die Kunst des klassischen Griechenlands war keine repräsentative Staatskunst, sondern wurde von Naturbeobachtung, Ästhetik und Liebe zur Sache bestimmt. Pferde stellte man immer äußerst ausdrucksvoll und für uns unverkennbar „antik“ dar. Oft vergleicht man sie mit Arabern, aber die griechischen Pferde zeigen eine gedrungenere Körperform und eine für den Araber ganz untypische, runde Kruppe, die wohl auf nordafrikanische Einflüsse zurückzuführen ist.
Das im Altertum häufig angewendete künstlerische Gesetz der Isokephalie (= Ausrichtung aller Scheitelpunkte der dargestellten Figuren auf eine Höhe) sorgte wohl für eine bewusst verkleinerte Darstellung der Pferde. Auch beim Parthenonfries bilden Reiter und Pferdeköpfe eine zum Friesrand parallel verlaufende, leicht gewellte Linie, die wohl kaum der Realität entsprach, sondern als künstlerische Verfremdung zu verstehen ist. Durch die Verkleinerung der normalerweise in Darstellungen flächenmäßig dominierenden Pferde erscheinen die Reiter bedeutungsvoller. Sie verschmelzen so förmlich mit den Tieren zu einer vom menschlichen Geist und Willen kontrollierten Einheit.
Besondere Beachtung fanden schon immer die wundervoll gearbeiteten Pferdeköpfe mit ihrem unvergleichlichen, „vergeistigten“ Ausdruck. Johann Wolfgang von Goethe schrieb über das Parthenonfries: „Das Pferd aus Athen ist höher gedacht, gewaltiger, schnaubend, mit gerundet vorliegenden Augen gepenstermäßig blickend.“ Tatsächlich sind die Augäpfel stark hervortretend und erhaben gearbeitet. Verstärkt wird der trockene Ausdruck durch scharf gezeichnete Linien der Ganaschen, kantige Jochbeine, sowie Licht und Schattenwirkung.
VERSAMMLUNG ODER PANIK?
Genau dies weist jedoch eindeutig auf einen ganz anderen Aspekt der griechischen Reitweise: Aufgerissene Augen und Mäuler und verkniffene Nüstern: Jeder Pferdekenner kann darin ohne weiteres nervöse Verspanntheit, Angst und Schmerz bis hin zur Panik erkennen. So „schön“ und so ausdrucksvoll die Köpfe auch wirken, sie passen nicht zu einem perfekt ausgebildeten, losgelassenen Pferd. Die abgebildeten Tiere tragen die Köpfe nicht locker und frei, sondern trotz fehlender Ganaschenfreiheit eher überzäumt oder unwillig hochgeworfen. Dazu passen auch die zurückgenommenen Hälse. Alles deutliche Missfallensäußerungen des Pferdes (siehe Zeichnungen 2a und 2b). Aber Missfallen worüber, wenn das Tier doch angeblich so harmonisch und leicht geritten wurde?
Die Betrachtung eines antiken griechischen Trensengebisses kann diesen Widerspruch klären. Gleichzeitig muss die heute gern zitierte Reitkunst der Griechen in Frage gestellt werden, wie sie Xenophon in seiner Schrift „Über die Reitkunst“ beschrieben hat.
DIE GRIECHISCHE TRENSE
Während einige antike Reitervölker ihre Pferde ohne Sattel, Zaumzeug und Gebiss in natürlicher Harmonie nur mit Gewichts- und Schenkelhilfen ritten, wurde dies von den Griechen nicht praktiziert. Sie benutzten Gebisse, die äußerlich, wie auf vielen Vasenmalereien zu erkennen, zunächst an ein weiches Ausbildungsgebiss, eine Knebeltrense, erinnern. Aber der Schein trügt. Im Pferdemaul selber war die grausame Trense im Detail an Härte kaum zu übertreffen und in der Geschichte der Reiterei wohl einmalig (Zeichnung 3).
Beide Trensenschenkel waren mit nadelspitzen Dornen gespickt. Die stacheligen Walzen wirkten auf den zahnlosen, empfindlichsten Teil der Laden und haben ihn, wie antike Skelettfunde zeigen, bis zum Knochen blutig gerissen. Das Pferd hatte keine Chance, das Gebiss in irgendeiner Form auf der Zunge zu tragen, denn am Gelenk waren zwei rasiermesserscharfe Metallscheiben befestigt. Sie zerschnitten schon bei der geringsten reiterlichen Einwirkung die Zunge.
Das gequälte Tier sperrte sein Maul weit auf und nahm Kopf und Hals so weit wie möglich zurück, um sich der Einwirkung zu entziehen. Für den Reiter eine willkommene Reaktion, wie man bei Xenophons Standardwerk nachlesen kann: „Einerseits vom Gebiss gequetscht, zur gleichen Zeit vor getrieben wird das Pferd aufgeregt, wirft die Brust vor und hebt im Zorn die Schenkel höher“.
Man kann annehmen, dass die Pferde mit plötzlichen Zügelanzügen zusammengerissen wurden und ängstliche Sprünge mit hoher Aktion entstanden. Phidias hat diese Bewegung genau festgehalten. Sie lässt sich beim besten Willen nicht als Versammlung interpretieren!
Gegen Ende des Frieses, wenn sich der Festzug seinem Höhepunkt nähert, wird die „Beizäumung“ immer mehr durch Kopfschlagen ersetzt, die angsterfüllten Sätze nehmen zu (Zeichnung 4), und einige Autoren sehen in ihnen sogar „Schulsprünge“.
Eine korrekt gesprungene Kruppade könnte ähnlich aussehen, wäre jedoch auf den durchweg ungesattelten Pferden nur schwer zu üben und kaum durchzuführen. Bei genauerem Hinsehen kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass die Pferde, gebremst durch das martialische Gebiss, kurz vor dem Durchgehen sind.
GESCHUNDENE PFERDE – OHNE MAULKORB NICHT ZU BÄNDIGEN
Das derart behandelte antike Pferd war charakterlich bald verdorben und ohne Zäumung nur noch mit Maulkorb zu bändigen. Xenophon mahnt zur Vorsicht bei ungezäumten Pferden und warnt ausdrücklich davor, sie ohne „Beißkorb“ zu führen. Man entdeckt dieses Hilfsmittel auch auf Vasenmalereien an einigen Handpferden. Der zunächst schwer nachvollziehbare Rat des antiken Reitmeisters erscheint angesichts der gebräuchlichen Zäumung zwingend notwendig: Sobald das Instrument, das die Pferde buchstäblich „im Zaum gehalten“ hatte, verschwunden war, wehrten sie sich wahrscheinlich mit allen Mitteln.
In der Schrift „Heraklessage“ ist sogar von „fleischfressenden“, also äußerst bissigen Pferden die Rede. Und vom Maler des ursprünglich farbigen Parthenonfrieses ist die Anekdote überliefert, dass er in seiner Wut, das Blut- Schaumgemisch am Pferdemaul nicht realistisch genug darstellen zu können, die weiße und rote Farbe mit dem Pinsel an die Wand schleuderte und mit den Spritzern auf den Pferdekörpern genau das erwünschte, naturgetreue Ergebnis erzielte.
Was bleibt also von der Hohen Reitkunst der Antike? Sie hat wohl bei den Griechen in der oft zitierten Perfektion nie existiert. Statt perfekt ausgebildeten Pferden gab es gepeinigte, nervöse Tiere mit ängstlich aufgesperrtem Maul oder mit Maulkorb.
Viele Kunsthistoriker und Reiter sehen noch heute in den Griechen das erste Volk, das die Bedeutung der Versammlung in der Reitkunst erkannt und künstlerisch gestaltet hat. Dieser Standpunkt muss überdacht werden. Mit „Reitkunst“ verbindet man ein gelassenes, fein gerittenes Pferd, das vertrauensvoll den Kontakt zur Reiterhand sucht und das Gebiss entsprechend annimmt. Die griechische Trense macht diese Voraussetzung zur schulmäßigen Versammlung unmöglich. Gegen dieses grausame Gebiss wird sich jedes Pferd zur Wehr setzen. Niemand kann damit einfühlsam reiten.
Das Vorbild der künstlerischen Vollkommenheit des Parthenonfrieses, der heute noch beeindruckende und viele Werke inspirierende Typus des antiken, unter unglaublicher Spannung stehenden Pferdes (Zeichnung 5 nach Delacroix), entstand nicht durch Pferdeverstand und reiterliches Können, sondern nur durch eine Zäumung, mit der hoffentlich nie mehr ein Pferdemaul in Berührung kommt.
Text und alle Zeichnungen: Christiane Slawik
Erwiderung von Christiane Slawik