Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft „Viel Spaß im Gelände“.
In der Theorie ist alles klar: Ausreiten gehört zur vielseitigen Ausbildung eines Pferdes unbedingt dazu. Aber in der Praxis? „Sieht das leider ganz anders aus“, stöhnt Friedhelm Petry. Der Reitlehrer und stellvertretende Vorsitzende des Vereins Xenophon lebt und arbeitet in Köln-Pulheim, einem Ballungsgebiet, wo das Ausreiten schon aus Platzgründen oftmals nicht ganz so einfach ist.
Friedhelms Petrys Erfahrungen werden durch eine Umfrage auf unserer Homepage bestätigt. Bis zum Redaktionsschluss am 06.02.14 haben sich 4.245 Reiterinnnen und Reiter daran beteiligt. Immerhin über 70 Prozent der Teilnehmer halten das Ausreiten für unverzichtbar. Doch wenn es dann darum geht, wie oft tatsächlich der Ritt ins Gelände auf dem Plan steht, werden die Zahlen schon etwas kleiner. 68 Prozent der Teilnehmer geben an, ein- bis zweimal die Woche oder gar täglich auszureiten. Einmal in der Woche schaffen es noch 11 Prozent der Befragten ins Gelände. Jeweils sieben Prozent gaben an, ein- bis zweimal im Monat auszureiten. Vier Prozent (in absoluter Zahl sind das 193 Personen) reiten im Winter generell nicht aus, und drei Prozent (150) gaben an, überhaupt nicht nach draußen zu gehen.
Die Gründe dafür, wenig bis gar nicht auszureiten, sind dabei sehr unterschiedlich. Die häufigsten Argumente gegen den Ausflug ins Grüne sind Zeitmangel, das nicht geeignet erscheinende Gelände um den Stall oder fehlende Reitpartner. Wobei aber auch 15 Prozent angaben, dass ihnen ihr Pferd im Gelände zu heftig ist. Elf Prozent räumten ein, dass sie schlicht Angst haben. Und tatsächlich gibt es sogar Reitställe, in denen generell nicht ausgeritten wird, was aber nur drei Prozent (45) der Befragten angaben. Alle Ergebnisse der Umfrage können Sie sich hier ansehen.
„Dass in einem Stall überhaupt nicht ausgeritten wird, erlebe ich leider öfter, als mir lieb ist“, sagt Friedhelm Petry. „Dabei wird verkannt, wie wichtig gerade auch für das Dressurreiten der Ritt ins Gelände ist. Eine möglichst vielseitige Ausbildung ist ja nicht nur ein theoretisches Ideal, sondern hat auch ganz praktische Vorteile!“ Für ihn als Dressurausbilder würden auf jeden Fall die Nachteile einer einseitigen Ausbildung deutlich überwiegen: „Freispringen, Springstunde und der Ritt ins Gelände: All das verbessert jedes Pferd. Fehlt das, brauche ich viel länger, bis mein Pferd eine reelle Losgelassenheit erreicht hat. Wenn ich es schaffe, die Reiter von einem Ausritt zu überzeugen, dann wundern sie sich am nächsten Tag selbst, wie viel schneller ihr Pferd plötzlich losgelassen ist, und auch die Biegearbeit verbessert sich deutlich. Das Ausreiten hat also auch einen ganz konkreten Nutzen für die Dressur“, wird der Ausbilder nicht müde zu betonen.
Gelegentlich würde es Friedhelm Petry aber schon reichen, wenn die Reiter einfach entspannter mit ihren Pferden umgehen würden. „Nehmen Sie eine beliebige Reithalle. Sobald dort ein ungewohntes Geräusch ertönt, wie beispielsweise ein vorbeifahrender Traktor, nehmen die einen hektisch die Zügel auf und die anderen halten gleich an. Beide Reaktionen signalisieren dem Pferd doch nur eines: Achtung, höchste Gefahr! Dass diese Pferde dann auch nicht entspannt ins Gelände geritten werden können, wird doch wohl niemanden ernsthaft überraschen.“ Von jedem Außengeräusch quasi hermetisch abgeschirmte Dressurpferde kämen auf einem Turnierplatz dann aus dem Staunen nicht mehr heraus: „Da wird die Prüfung gleich in mehrfacher Hinsicht zur Herausforderung.“
Ursachen für diese einseitige Ausbildung gebe es viele, meint Friedhelm Petry: „Manchen Reitern fehlt leider einfach der Mut auszureiten – sie haben Angst. Und je länger sie es nicht machen, desto höher wird natürlich auch die Hürde, es tatsächlich doch noch in Angriff zu nehmen.“ Dazu kommt, dass die Ausbildung lange nicht mehr so vielseitig ist, wie es früher üblich war: „Dressur wird im Dressurstall geritten, gesprungen wird im Springstall und Vielseitigkeitsreiter ziehen den Vielseitigkeitsstall vor. Hier sind die Ausbilder gefordert, ihre Schüler zu motivieren, auch andere Dinge zu reiten als das, was sie sich als Spezialdisziplin vorgenommen haben. Wer natürlich nie gelernt hat auszureiten, der wird das auch nicht machen.“ Und: Die Hürde des Nicht-Ausreitens beginne gelegentlich schon mit der Ausrüstung: „Die wenigstens Reiter haben heute doch noch einen Vielseitigkeitssattel, sondern nur noch einen Dressursattel. In dem können Sie aber kaum die Bügel so kurz verschnallen, wie Sie es für den leichten Sitz brauchen.“
Doch nicht nur die Reiter selbst sieht Friedhelm Petry in der Pflicht. „Das beginnt schon bei der Ausbildung der Berufsreiter, auch hier wird schon nicht mehr so vielseitig gearbeitet, wie das eigentlich nötig wäre.“ Sei der junge Bereiter erst einmal im Berufsleben angekommen, käme schon das nächste Problem hinzu: „Wenn ich ein junges Pferd an das Gelände gewöhnen möchte, kostet das viel Zeit. Einmal durch das Ausreiten selbst, aber auch die Vorbereitung und die anschließende Pflege sind aufwändiger, als wenn ich das Pferd nur in der Halle oder auf dem Platz trainiere. Kalkuliert ein Bereiter für das normale Training – wenn ihm das Pferd vorbereitet, aufgewärmt und wieder abgenommen wird – etwa eine halbe Stunde Zeit ein, muss hier mit doppelt so viel Aufwand gerechnet werden. Und das bezahlt Ihnen kaum ein Pferdebesitzer.“
Zeitprobleme sind indes nicht nur für Berufsreiter ein Thema, meint Friedhelm Petry: „Gerade die Reiter, deren Stall in einem Ballungsgebiet liegt, haben oftmals nicht das optimale Ausreitgelände vor der Tür, müssen vielleicht erst viel befahrene Straßen überqueren oder über Autobahnbrücken reiten. Dann kommt noch hinzu, dass Sie heute eine Reitanlage eher im Gewerbegebiet genehmigt bekommen als in Waldnähe”, ärgert sich der Ausbilder. Damit würde das Ausreiten für jedermann natürlich zu einem erheblichen Zeitfaktor, aber, so der stellvertretende Vorsitzende von Xenophon e.V. klar: „Wer die vielseitige Ausbildung seines Pferdes ernst nimmt, muss sich diese Zeit einfach nehmen!“ (cls)
Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft „Viel Spaß im Gelände“.