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Ohne Rahmenerweiterung geht es nicht: Übergänge korrekt erarbeiten

Auf dem Weg zur korrekten Rahmenerweiterung

Wer Verstärkungen reiten möchte, kommt um das Thema Schwung und Rahmenerweiterung nicht herum: Beides hängt untrennbar miteinander zusammen. Der Ausbilder Walter Zettl beschreibt für die Dressur-Studien, wie sich beides erarbeiten lässt.

Schwung ist in der Vorwärtsbewegung im Trab, Galopp und deren Übergängen am besten erkennbar. Der Schritt dagegen ist eine schreitende Grundgangart ohne Schwung. Doch auch hier gilt: Über die Reiterhilfen entwickelt das Pferd einen schwingenden Rücken – der Widerrist hebt sich, das Genick ist der höchste Punkt und das Pferdemaul schwingt in eine flexible, aushaltende Hand. Dieser Schwung wird ohne jegliche Unterbrechung von der Hand über Pferdemaul, Genick, Widerrist und Rücken zur Hinterhand zurückgeleitet. Dieses wiederholt sich immer wieder.

Der Schwung

Man kann Schwung ohne Versammlung, aber nie eine Versammlung ohne Schwung reiten. Dies gilt für jeden Übergang, jede Wendung und jeden Seitengang. Oft sieht man einen Reiter, der über die Grenze seines Pferdes hinausgeht und es zu sehr vorwärts reitet. Schnelligkeit hat mit Schwung nichts zu tun – ganz im Gegenteil! Dann wird das Pferd eilig, verliert den Takt und die Balance, die Anlehnung wird zu stark, es legt sich auf die Hand, das Pferd ist verängstigt und verkrampft sich, Losgelassenheit und Vertrauen zum Reiter und zu sich selbst gehen ganz verloren.
Ein weiterer Reiterfehler ist der, dass mit zu starken Schenkel- und Sporenhilfen versucht wird, das Pferd an die Hand heranzuzwingen. Wieder verkrampft sich das arme Pferd und die Harmonie geht verloren. Hier haben wir eine erzwungene Versammlung ohne Schwung. Zwang und Gewalt darf es in der Ausbildung nicht geben, das hat noch nie etwas Schönes erzeugt!
Wichtigste Grundvoraussetzung für den Schwung ist die Losgelassenheit – in meinen Lehrgängen steht deshalb vor jeder schwungvollen Arbeit zuerst die Arbeit an der Losgelassenheit. Die Entwicklung des Schwungs kann erst danach erfolgen: Nach einer Schrittpause am langen oder hingegebenen Zügel lasse ich den Reiter die Zügel aufnehmen mit der Bemerkung, stets daran zu denken, dass das Pferdemaul neben dem Rücken der empfindlichste Teil des Pferdes ist. Dementsprechend vorsichtig muss man mit der Hand vorgehen. Wer das Pferd an die Hand treibt, muss mehr vorwärtsweisend als verhaltend wirken – was für uns handorientierte Menschen nicht leicht ist. Wir Menschen wollen stets alle Schwierigkeiten, die sich vorne zeigen, mit der Hand in Ordnung bringen.
Das Pferd muss einen guten, lebhaften, aber nicht eiligen Schritt gehen, so geritten, dass man jederzeit daraus antraben oder angaloppieren kann. Genauso müssen auch der Trab und Galopp geritten werden, sodass sofort ein neuer Übergang geritten werden kann. Der Schritt ist dann lebhaft genug, wenn man nur durch vermehrtes Vorschieben der Mittelposition (dies ist der Sammelbegriff für beide Gesäßmuskeln, den Sitzknochen und das Steißbein) und vermehrten Druck mit den Schenkeln das Pferd harmonisch in den Trab hineinschieben kann.

Fehlerquellen

Aber Vorsicht: Die Hilfen müssen gut ausbalanciert sein, damit das Pferd nicht durch übertriebene Hilfen in den Trab gestoßen wird. Durch viele Trab-Schritt-Trab-Übergänge wird der Schwung fast unmerklich entwickelt. Erst wenn diese Übergänge harmonisch, flüssig und schwungvoll sind, kann man im Trab die Tritte verlängern und verkürzen. Beim Verkürzen des Trabs muss der Zweitakt erhalten bleiben. Die Hinterhand wird dabei lebhafter gemacht. Für das Tritte verlängern muss man – fast ohne Kraftaufwand – den Schwung nur durch leichtes Vorgehen mit beiden Händen forcieren. So kommt das Pferd zur notwendigen Rahmenerweiterung. Schon nach wenigen schwungvollen Tritten wird der Schwung durch leichtes Gegenhalten mit der Hand und durch Tiefnehmen der Absätze aufgefangen. Dieses vermehrte Gewicht, das man durch das Tiefnehmen der Absätze dabei in den Sattel bringt, ist für das Pferd noch erträglich im Rücken. Zu schweres Einsitzen würde dem Pferd im Rücken Schmerzen bereiten und es würde den Rücken wegdrücken. Nachdem die leicht gegenhaltende Hand den Schwung aufgefangen hat, wird sie etwas weich, ohne dass die Anlehnung aufgegeben wird. Man darf die verlängerten Tritte nur so lange reiten, wie das Pferd in der Lage ist, dies mit der Hinterhand auszubalancieren. Erst wenn das Pferd dabei Takt und kraftvolle Tritte beibehalten kann, wird es auch für längere Zeit einen Mitteltrab oder starken Trab zeigen können – ohne dabei die Losgelassenheit zu verlieren. Dem jeweiligen Tempo muss auch stets die jeweilige Rahmenerweiterung angepasst sein. Das Pferd kann das Vorderbein nur da aufsetzen, wo seine Nase hinzeigt. Je stärker die Gangart, desto größer muss also die Rahmenerweiterung sein. Jedoch muss man zu jeder Zeit das Gefühl haben, die Verstärkung wieder zur Versammlung zurückführen zu können – ohne dass man dabei zu starke Hilfen geben muss. Der Wille ist dabei ganz wichtig. Er kann Berge versetzen, sagt man.

 

Schwung und Verstärkungen im Galopp

Die Entwicklung von Schwung und Verstärkungen im Galopp funktioniert auch wieder über das Reiten von Übergängen. Wieder ist es wichtig, dass das Pferd einen guten, lebhaften, aber nicht eiligen Viertaktschritt geht. Der Reiter muss das Gefühl haben, jederzeit angaloppieren zu können. Nur wenn der Reiter die Hilfen im richtigen Augenblick gibt, wird schon der erste Galoppsprung schwungvoll sein. Lassen Sie uns annehmen, dass wir auf der linken Hand reiten und links angaloppieren wollen. Gibt es keinen Helfer an der Seitenlinie, der dem Reiter sagt, wann der richtige Moment zum Angaloppieren gekommn ist, hilft ein kleiner Trick: Schauen Sie auf die äußere rechte Pferdeschulter, wenn diese Schulter zurückgeht, dann ist der richtige Zeitpunkt für die Galopphilfe gekommen. Im selben Moment ist nämlich der äußere rechte Hinterfuß am Boden und drückt das Pferd in den Linksgalopp.

Der erste Galoppsprung muss genauso kraft- und schwungvoll wie der letzte sein. Jeder Galoppsprung ist ein neues Angaloppieren. Dabei muss der Reiter stets das Gefühl haben, auf einen Berg hinaufreiten zu wollen. „Reiten Sie in den Himmel und nicht in die Hölle“, sage ich im Unterricht zu meinen Schülern.

Hat der Reiter durch sehr häufiges Angaloppieren den richtigen Moment herausgefunden, darf er nicht mehr auf die Schulter sehen, sondern muss sich auf sein Gefühl verlassen, wann er die Hilfe zum Angaloppieren geben muss. Genauso muss er wissen, wann der richtige Moment für die Hilfe zum Durchparieren gegeben ist. Erinnern wir uns an das Schaukelpferd, das erst hinten nach unten und dann vorne hoch geht. So ein ähnliches Gefühl hat man in der Galoppade. Der richtige Moment, das Pferd zum Schritt durchzuparieren, ist, wenn das Pferd vorne hoch kommt – dann ist automatisch die Hinterhand tief. Dies ist der Moment, um das Pferd durch leichtes Gegenhalten – und je nach Rittigkeit des Pferdes – durch eine oder mehrere halbe Paraden am inneren Zügel zum Schritt durchzuparieren. Warum soll man die halben Paraden am inneren Zügel geben? Der Grund dafür ist, den Galoppsprung zu stoppen. Gibt man die halben Paraden am äußeren Zügel, würde das Pferd dieses eher als versammelte Hilfe verstehen, kürzer werden, aber nicht durchparieren. Die halbe Parade außen gibt man, um den Galoppsprung zu verbessern und zu verkürzen. Das Pferd soll dadurch schwungvoller unterspringen.

Durch häufiges Angaloppieren aus dem Schritt wird die Hinterhand lebhaft und die Galoppade verbessert. Wichtig ist, dass das Pferd stets einen korrekten Schritt zwischen dem Durchparieren und dem erneuten Angaloppieren geht. Verspannt sich das Pferd, muss man entweder etwas anderes reiten oder so lange Schritt auf gebogenen Linien reiten, bis dieser wieder korrekt ist. Erst dann kann man mit den Galoppübungen weitermachen. Hat das Pferd keine Schwierigkeit, schon nach wenigen Tritten im Schritt sofort willig wieder anzugaloppieren und schon nach einigen Galoppsprüngen wieder zurück in einen guten Schritt zu wechseln, kann man mit dem Verlängern der Galoppsprünge beginnen. Auch hier muss man darauf achten, dass man die Sprünge durch die entsprechende Rahmenerweiterung verlängert. Das Pferd darf auf keinen Fall zu sehr vorwärts gejagt werden! Man darf nur so viel Verstärkung vom Pferd verlangen, solange das Pferd noch unter der Kontrolle (also am Gesäß) bleibt. Im starken Galopp wird die größte Rahmenerweiterung erreicht. Zum Schluss möchte ich noch einmal alle Reiter daran erinnern, dass alle Übergänge harmonisch ineinander übergehen müssen. Je weniger man die Hilfen des Reiters sieht, je leichter wird das Pferd auf diese eingehen. Jede Übertreibung muss vermieden werden.

 

Der Autor Walter Zettl (1929-2018) lebte in Kanda. Er war u.a. Dressurtrainer der kanadischen Olympia-Vielseitigkeitsreiter

Der Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft 2/2008 “Schwung und Verstärkungen, welches in unserem Sammelband 2008 enthalten ist.

Wenn Sie mehr von Walter Zettl lesen möchten, können wir Ihnen diese beiden Bücher sehr empfehlen:

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