Die radikale Roll-Tortur

Menschen sind erfindungsreich. Auch wenn es darum geht, möglichst schnell mit Pferden Ziele zu erreichen. Eine dieser „Erfindungen“ ist die Rollkur: Das Pferd wird tief eingestellt, mit dem Kopf auf Höhe der Brust. Im vergangenen Sommer brachte das Magazin St. Georg das Thema wieder auf den Tisch. Diesmal im Visier: Die Niederländer, die die Rollkur als legitimes Mittel ansehen.

Anfang des Jahres 2006 lud die Internationale Vereinigung FEI zu einen Workshop zur Rollkur ein. 60 Fachleute, allen voran der Trainer der Niederländischen Dressur-Equipe und Ehemann von Olympiagewinnerin Anky van Grunsven, Sjef Janssen, sollten ihre Meinung kundtun. Das Ergebnis der Tagung: Die Rollkur wird in Hyper-Flexion umbenannt – in den Händen von Profis schade sie nicht dem Pferd. Für die Dressur-Studien sprach Claudia Sanders mit der damaligen Chefredakteurin der St. Georg, Gabriele Pochhammer. Sie verfolgt seit rund 20 Jahren die Debatte um die Rollkur und war auch bei der FEI-Tagung dabei.

Wie wurde das Thema Rollkur während der Tagung angegangen?

Zu Beginn hat Sjef Janssen einen Vortrag gehalten und geschildert, wie er und sein Team die Rollkur anwenden. Anhand von Dias erläuterte er, wie mit den Pferden gearbeitet wird. Die Bilder waren alle sehr harmlos: Pferde, die grasen oder spazieren geführt werden. Anky van Grunsven im leichten Sitz oder wie sie ein Pferd etwas kürzer aufnimmt. Doch solche Bilder haben natürlich nichts mit der eigentlich rüden Rollkur zu tun. Nur: Darauf hat keiner hingewiesen, als Sjef Janssen seinen Vortrag hielt. Leider. Das hat mich schon etwas erschreckt.

Warum hat sich Ihrer Meinung nach keiner zu Wort gemeldet?

Die Reihen der Teilnehmer aus den Niederlanden waren sehr geschlossen. Und die Deutschen waren verhältnismäßig zaghaft. Dr. Gerd Heuschmann, der als deutscher Tierarzt das Thema schon lange behandelt, hielt als nächster seinen Vortrag. Er sagte nur, dass der Vortrag prima gewesen sei – er aber glaube, dass mit Rollkur ein aggressiveres Reiten gemeint sei. Gerd Heuschmann hat immerhin im nachhinein noch einen offenen Brief an die FEI geschrieben, in dem er deutlich sagt, das er von dem Ergebnis dieses Workshops nichts hält.

Einerseits beruft die FEI diesen Workshop ein und spricht dann andererseits die Thematik nicht offen an?

Ich denke, die FEI wollte sich vielleicht einfach damit beruhigen, dass sie einen Workshop ausrichtet. So lässt sich ja auch gut zeigen, dass man den Diskussions- und Forschungsbedarf erkannt und sofort reagiert hat. Das Resultat war eben, dass kein medizinischer Schaden nachweisbar wäre…

Es wurden Forschungsergebnisse während des Workshops vorgestellt. Um welche Studien ging es?
Seit September 2004 läuft eine gemeinsame Studie der Universitäten Utrecht, Uppsala und Zürich. Im diesem Rahmen wurden Pferde in verschiedenen Halspositionen auf Laufbänder gestellt und dann jeweils die Länge des Schrittes und die Auf- und Abbewegung des Rückens gemessen. Die erste Haltung entsprach der des Pferdes in freier Natur. Die zweite war in normaler Dressur-Haltung, also etwas mehr aufgerichtet, die dritte in der Haltung einer jungen Remonte. Position vier war die Rollkur. Vorgetragen wurden die Ergebnisse dieser Studie von dem holländischen Professor René van Weeren. Er erläuterte, dass in der versammelten Dressurhaltung und in der Rollkurhaltung, im Verhältnis zur Bewegung in freier Natur, die Bewegungen eingeschränkt würden. Dass in der Versammlung die Schritte kürzer werden, ist ja bekannt. Aber er sagte auch, dass in der Rollkurposition der Rücken noch mehr schwingen würde als in der Versammlung, und es somit eine eher gymnastizierende Wirkung habe. Das war seine Schlussfolgerung.

Also: Auch bei der Rollkur schwingt der Rücken stärker?

Ja, gerade bei der Rollkur. Die Amplitude der Schwingung wird einfach größer. Ob das nun ein Schwingen oder eine Art von Versteifung ist, weil das Pferd eben kürzer tritt, ist unklar. Darüber wurde auch nicht gesprochen, es war nur Fakt. Ich habe dann noch eimal nachrecherchiert und herausgefunden, dass diese Studie noch gar nicht abgeschlossen ist und die ganzen Versuche ohne Reiter durchgeführt wurden. In Zürich laufen derzeit noch Studien mit Reiter, dort habe ich mit dem zuständigen Professor gesprochen. Dessen Ergebnisse sehen bisher anders aus: Sie zeigen nämlich, dass bei der Rollkur die Hinterbeine des Pferdes nach hinten heraus arbeiten.

Erstaunlich an der Studie von Professor van Weeren finde ich auch, dass die einzelnen Messungen nicht untereinander verglichen wurden, sondern immer nur mit dem ganz freien Gehen verglichen wurden. Zudem wurde das Laufband auf Tempo eingestellt – es gab dem Pferd also vor, wie es zu gehen hat. Diese Kritik wurde übrigens auch von jemanden geäußert, der unmittelbar an der Studie beteiligt war. Insofern scheint mir die Aussagekraft dieser Studie doch eher zweifelhaft. Doch für die Befürworter der Rollkur, die argumentieren, dass die Rollkur bei einem erfahrenen Reiter ein „nützliches Trainings-Tool“ sei, bietet sie natürlich eine Bestätigung.

Daneben gab es noch eine Studie, die untersuchte, inwiefern das Pferd durch die Rollkur Stress ausgesetzt wird?

Diese Studie hat Professor Eric van Breeda aus Maastricht durchgeführt. Er hat an Freizeitpferden und an ausgebildeten Dressurpferden Messungen durchgeführt: Die Pferde wurden jeweils 30 Minuten in der Rollkurhaltung geritten. Eine halbe Stunde nach dem Training wurde ihnen der Puls gemessen. Der Puls der Dressurpferde war ein wenig schneller wieder normal, als der der Freizeitpferde. Ich halte es aber nicht für überraschend, dass der Puls eines trainierten Dressurpferdes schneller wieder normal ist, als der eines im Verhältnis untrainierten Freizeitpferdes. Zudem ist auch nicht klar, wie radikal da tatsächlich in der Rollkurhaltung geritten wurde. Und es wurden auf keine anderen Anzeichen von Stress geachtet, sondern lediglich die Pulsmessung durchgeführt. Meiner Meinung nach ist die Aussagekraft dieser Studie gleich Null.

Weitaus interessanter fand ich da Referat von dem Australier Andrew McLean. Er erklärte, wie ein Pferd lernt und nannte in diesem Zusammenhang die Methode der Angelernten Hilflosigkeit oder Learned Helpnessless: Kann ein Pferd sich einer Gefahr weder durch Flucht noch durch Kampf entziehen, resigniert es. Bei der Rollkur bedeutet das: Wenn ein Pferd gemerkt hat, dass es diesem Zustand nicht entfliehen kann, geht es irgendwann auch nicht mehr gegen das Gebiss vor. Wenn bei manchen Rollkurbildern die Zügel durchhängen, ist das also eher ein Anzeichen von Resignation.

Wie wurden diese medizinischen und psychischen Untersuchungen vom Publikum auf dem Workshop aufgenommen?

Gar nicht. Alle Vorträge wurden relativ unbewegt aufgenommen, außer dem Vortrag von Sjef Janssen, da haben alle applaudiert. In der weiteren Diskussion schienen die Reiter eher darauf erpicht, einen neuen Namen für die Rollkur zu finden, besonders der Sprecher der Reiter, Richard Davidson. Das Ergebnis war dann die Umbenennung der Rollkur in „Hyperflexion of the neck“, übersetzt: Überdehnung des Halses.

Was haben denn die deutschen Vertreter dazu gesagt?

Erst einmal gar nichts. Ich habe mich dann nach den Vorteilen dieser Methode erkundigt und wollte wissen, was ich mit der Rollkur erreichen kann, was sich nicht mit der klassischen Ausbildung erreichen lässt. Keiner konnte das beantworten, alle schauten nur um sich und Sjef Janssen sagte: „Zehn Goldmedaillen.“
Ganz am Schluss hat Dr. Düe von der FN gesagt, für wie sinnlos er die Umbenennung hält, und ein paar Tage später im FN-Seminar in Warendorf, hat er sogar eine wissenschaftliche Definition der Hyperflexion gegeben: „Hyperflexion ist die exzessive Beugung eines oder mehrerer Gelenke, die dazu geeignet ist, Verletzungen herbeizuführen“.

Während des FEI-Workshops wurde zwar darauf hingewiesen, dass die Rollkur oder Hyperflexion eine Haltung ist, die das Pferd in der Natur so gut wie nie einnimmt und alleine auch nicht längere Zeit aufrecht erhalten kann. Aber in der anschließenden Diskussion wurde immer wieder betont, dass in den Händen eines erfahrenen Reiters die Rollkur unschädlich sei und ein nützliches Tool. Wobei dann aber auch die Frage erlaubt sein muss, warum die Rollkur bei unerfahrenen Reiter schädlich sein soll, wenn die Rollkur an sich nicht schaden kann…

Und was bedeutet das für die Pferde?

In meinen Augen ist diese Legitimation der Rollkur eine Katastrophe. Das widerspricht der klassischen Reitlehre. Es ist eben nicht egal, wie der Reiter ein Ziel erreicht. Dressur bedeutet doch eine systematische Gymnastizierung des Pferdes, und das kann nicht durch irgendwelche mechanischen Mittel ersetzt werden. Wenn man also der Ansicht ist, dass die klassische Ausbildung eine pferdefreundliche und schonende Ausbildung ist, dann kann jede andere, die so genannte mechanische Tools verwenden, nur schlechter sein. Ich bin überzeugt: Für das Fluchttier Pferd muss die Rollkur eine Tortur sein!

Frau Pochhammer, vielen Dank für das Gespräch!

 

 

3 Responses

  1. […] Workshop der internationalen Reiterlichen Vereinigung FEI, beschönigend in “Hyperflexion” umbenannt. Auch der Veterinär Dr. Michael Düe, Leiter der Abteilung Veterinärmedizin bei der Deuschen […]

  2. […] Workshop der internationalen Reiterlichen Vereinigung FEI, beschönigend in “Hyperflexion” umbenannt. Auch der Veterinär Dr. Michael Düe, Leiter der Abteilung Veterinärmedizin bei der Deuschen […]

  3. CHIO 2015-05-30 | Pegasus
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    […] der internationalen Reiterlichen Vereinigung FEI, beschönigend in “Hyperflexion” umbenannt. Auch der Veterinär Dr. Michael Düe, Leiter der Abteilung Veterinärmedizin bei der Deuschen […]