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Die alten Meister und das Anreiten

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft „Praxis-Heft: Junge Pferde“.

Das Anreiten von Pferden war für einige der alten Meister nichts, was sie selber getan hätten. Das wurde eher dem „einfachen Volk“ überlassen.

Xenophons (430-354 v. Chr.) Reitlehre gilt bis heute als die hippologische Abhandlung der Antike schlechthin. Im hohen Alter bedauerte Xenophon jedoch eines: Obwohl seine Schriften zur Reiterei die ausführlichsten und umfänglichsten seien, fehle ihnen doch eines: ein Kapitel über das Anreiten der Pferde. Nach Xenophons Meinung war das Anreiten die Aufgabe eigens ausgebildeter Zureiter, die allerdings nicht der Aristokratie angehörten. Die wohlhabenden jungen Athener dagegen, die dem Ritterstand angehörten, waren von Haus aus vermögend genug, um sich ein angerittenes Pferd zukaufen.

Dennoch warnt Xenophon seine Zeitgenossen, dass ein geeigneter Bereiter sorgfältig ausgewählt werden müsse:“ „Man muss dabei jedoch so vorgehen wie bei einem Knaben, den man in die Lehre gibt, indem man einen schriftlichen Vertrag aufsetzt, welcher festlegt, mit welchen Kenntnissen die Lehrzeit als abgeschlossen gilt. Er soll dem Lehrmeister als Anweisung dienen, wofür er bei der Ausbildung des Jungpferdes zu sorgen hat, wenn er seinen Lohn dafür erhalten will.“

Noch Jahrhunderte später taucht die Thematik in der Literatur wieder auf. Johann Gottfried Prizelius, Stallmeister am Hof der Fürsten zur Lippe, notierte 1787 in seinem Werk „Der Bereiter“: „Junge Pferde von drei bis vier Jahren Alter kommen nicht selten in die Hände eines so unwissenden Reiters, und was kann aus ihnen werden? Mann und Pferd werden unglücklich und man bedarf alle Jahre starke Remonten.“

Wenig später greift der hessische Stallmeister Ludwig Hünersdorf (1748–1812) zur Feder und macht seinem Unmut Luft über ungebildete Reiter, die sich mit jungen Pferden beschäftigen. Er schrieb 1805 auf, was aus seiner Sicht einen guten Reiter junger Pferde auszeichnet:

1. Muss er eine richtige Kenntnis von einem wohlgebauten Pferde und seinem Temperament haben, worin die Güte eines Reitpferdes zu der Absicht wozu er es dressieren will, insbesondere bestehe.
2. Muss er beurteilen können, welche Lektionen er dem Pferd nach seinem Alter, seinen Kräften und mit Rücksicht auf die Zeit, die ihm zum abrichten gegeben ist am dienstlichsten sind.
3. Er muss eine gute Hand und folglich einen sehr guten Sitz zu Pferd haben
4. Er muss alle Hilfen und Strafen mit der gehörigen Fertigkeit zu geben und sie nach der Empfindlichkeit des Pferdes abzumessen wissen
5. Muss er die nötige Entschlossenheit und Geduld haben
Doch Ludwig Hünersdorf war sich wohl bewusst, dass diese Eigenschaften auch für einen Bereiter seiner Zeit keine Selbstverständlichkeit waren und so mahnte er:
„Wenn Sie mir den Einwurf machen, dass es Bereiter gebe die diese verlangten Eigenschaften nicht alle besitzen; so kann ich freilich nichts anderes hierauf antworten als: desto schlimmer für sie und die Pferde, die ihnen in die Hände geraten.“
Denn eines sei auf jeden Fall sicher – wer beim Anreiten der jungen Pferde Fehler mache, unvorsichtig oder gar grob sei, müsse dafür bezahlen: „Und ein jeder der nur einige Erfahrung hat, wird bezeugen müssen, wie viel Mühe und Zeit es in solchen Fällen gekostet hat, diese widrigen Eindrücke bei dem Pferde auszulöschen. So viel Neigung, als auch das Pferd natürlich zu dem Menschen haben mag (denn ohne diese liesse es sich nicht begreifen, wie es ohne diese sich so viel gefallen lassen könnte) so will es doch nur nach und nach, und ohne es recht wahrzunehmen, uns unterwürfig werden, und folglich mit aller Vorsicht und Vernunft behandelt sein.”

Der deutsche Reitmeister Gustav Steinbrecht (1808–1885) sah das ganz ähnlich und versuchte, seine Zeitgenossen zum Umdenken zu bewegen: „Es ist eine sehr verbreitete, aber ganz falsche Ansicht, dass das junge Pferd, dessen Gefühl noch nicht ausgebildet ist, und das weder Zügel noch Schenkel kennt, für die ersten Übungen keines feinen Reiters bedürfe, sondern durch den ersten besten Reitknecht, der genug Sitz hat sich nicht abwerfen zu lassen, aus dem Gröbsten herausgearbeitet werden könne. Wie jeder Vater es vorziehen wird, seinen Kindern den ersten Elementarunterricht durch einen wissenschaftlich gebildeten Mann als durch einen beschränkten Schulmeister erteilen zu wollen, so sollte doch auch jeder Pferdebesitzer sein junges Pferd von vornherein einem gebildeten, kunstgerechten Bereiter übergeben.“

In einem anderen Punkt waren sich die alten Meister ebenfalls einig: Wer sich mit jungen Pferden beschäftigt, sollte zwingend über ein breites Wissen verfügen und vor allen Dingen das Pferd achten. Der französische Offizier und Reitmeister Alexis François L‘Hotte (1825–1904) schrieb dazu: „Um das edle Tier aufzuwerten, welches ihr Glück und ihren Stolz ausmachte, stellten die alten Ecuyers seine verschiedenen Körperteile weitaus vollständiger als heute den Menschlichen gleich und nannten seine Vorderfüße auch Hände.“ Was die noch heute übliche Redewendung „die Hand wechseln“ erklärt.

Die Methoden des Anreitens werden selten ausführlich bei den alten Meistern beschrieben, eine Ausnahme davon sind die Schriften von Manoel Carlos de Andrade (1755–1817). Der Bereiter an der portugiesischen Hofreitschule widmet sich ausführlich und in mehreren Kapiteln der Frage, wie das junge Pferd ab dem Alter von vier Jahren an Halfter, Longe, Gurt und Sattel zu gewöhnen sei. Ganz vorsichtig und bedächtig geht er dabei vor, wenn auch manches Vorgehen aus heutiger Sicht eher befremdlich scheint: So tragen die Pferde Augenabdeckungen, während ihnen der Sattel (ohne Steigbügel, damit sich die Pferde nicht erschrecken) aufgelegt wird. Ist der Sattel leicht angegurtet, werden ihm die Augenabdeckungen abgenommen: „Sollte das Jungpferd (…) bocken, so kann derjenige, der die Leine hält, ohne Schwierigkeiten die Oberhand gewinnen, ohne dass die Stallknechte, die den Sattel aufgelegt haben, in Gefahr kämen.“

Der französische Reitmeister François Robichon de la Guérinière (1688–1751) fasst sich in seiner Schrift „Reitkunst“ eher kurz, was die Ausbildung des ganz jungen Pferdes angeht, wobei er die Pferde erst im Alter von fünf Jahren arbeitete. Sattel und Trense werden allerdings schon dem drei- bis vierjährigen Pferd angelegt: „Anfänglich gewöhnt man es einen leichten Sattel, der nicht zu fest zugegurtet ist auf dem Rücken zu leiden: man lässt es auf diese Art täglich zwei bis drei Stunden gesattelt. Ebenso gewöhnt man es auch zu leiden, dass man ihm eine Trense anziehe (…).”

Tauchen Widersetzlichkeiten in der Ausbildung des jungen Pferdes auf, so läge dies nicht etwa an der „Bösartigkeit“ der Tiere, so der französische Reitmeister Antoine Cartier d‘Aure (1799–1863): „Was das Tier noch nicht oder noch nicht richtig macht, hat es entweder nicht begriffen oder es kann es nicht ausführen, (…) weil dem körperliche Hindernisse entgegenstehen.“

Ganz ähnlich wie heute suchten auch in der Vergangenheit Reiter nach dem Patentrezept, wie das Pferd ideal auszubilden sei. Doch dies existiere nicht, so der deutsche Major Julius Walzer (1838–1921): „Nur wenige Pferde sind dem Temperament und Gebäude nach so geartet, dass sie nach einer Schablone zugeritten werden können. Je schwieriger das Temperament, je ungünstiger das Gebäude des Pferdes ist, je variierender wird der Ausbildungsgang des Pferdes sein.“

Gustav Steinbrecht bringt das so auf den Punkt: „Es gebe sich daher niemand der Illusion hin, selbst bei der größten Sorgfalt und dem ernstesten Fleiß, glatt und reinlich an das Ziel zu gelangen. (…) Merke Dir wohl: Fortschritte macht Dein Pferd nur, wenn Du auf gutem Fuße mit ihm stehst.“

Neben dem Vertrauen des Pferdes bedürfe es aber noch etwas anderen, findet Ludwig Hünersdorf: „Bei dem nachdenkenden und vernünftigen Reiter setzen wir voraus, dass er nichts mit dem Pferde unternimmt, ohne die Frage: Warum? an sich zu tun und sie auch gehörig aufzulösen weiß.“

Der Reitlehrer des französischen Königs Ludwig XIII, Antoine de Pluvinel (1552–1620) forderte schon fast zwei Jahrhunderte zuvor ganz Ähnliches: „So weit die Vollkommenheit einer Kunst aber im Wissen besteht, wohl zu beginnen, so tue ich recht gut daran, während die ersten Lektionen ich dem Pferd erteile, nach seinem Wesen zu forschen, weil dies das Schwerste, dabei das Hirn zu benutzen mehr als Kreuz und Schenkel und achten, dass es nicht verdrieße, wenn irgend es sich tun lässt, nicht zu ersticken seine Anmut, denn diese ist bei Pferden wie die Blüte auf den Früchten, die Blüte, die niemals wiederkehrt, wenn einmal sie genommen.“ (cls)

 

Lesetipps:

Bertold Schirg: „Die Reitkunst im Spiegel ihrer Meister, Band I“, Olms, 2011
Du Paty de Clam: „Theorie und Praktik der höheren Reitkunst“,
1826, Reprint Olms, 1987
Ludwig Hünersdorf: „Anleitung zu der natürlichsten und leichtesten Art
Pferde abzurichten“, Akademische Buchhandlung, 1805
Gustav Steinbrecht: „Gymnasium des Pferdes“, 1884, Reprint FN-Verlag, 2004
Xenophon: „Über die Reitkunst“, Reprint Müller-Rüschlikon, 2010
Theodor Heinze: „Pferd und Reiter oder: Reitkunst in ihrem ganzen Umfange“,
1873, Reprint Olms, 2000
Manoel Carlos de Andrade: „Die edle Kunst des Reitens. Erklärungen für eine
vernunftgemässe Praxis“, 1790, Reprint Olms, 2006

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft „Praxis-Heft: Junge Pferde“.  (Das Heft erhalten Sie vom 15.03-30.03.2020 zum Sonderpreis von 5,50.- statt 8,90.-)