Erinnern Sie sich noch an Ihre Fahrprüfung? Da hieß es vielleicht: „Und nun wenden Sie bitte auf dem kürzesten Weg.“ Was im Auto kein Problem darstellt, ist zu Pferd vor allem dort, wo es um die Wendungen der Hinterhand geht, nicht ganz einfach: Ein literarischer Blick auf drei Lektionen, bei denen sich die Spreu vom Weizen trennt.
Hinterhandwendung, Kurzkehrt und Pirouette stellen bei ihrer Ausführung sehr ähnliche Anforderungen an Pferd und Reiter, allerdings in unterschiedlichen Abstufungen und Schwierigkeitsgraden. Immer jedoch verlangen diese Übungen ein Pferd, das sich korrekt stellen, biegen und versammeln lässt und einen Reiter, der all dies gefühlvoll beherrscht. Unterschiedliche Auffassungen gibt es in der Literatur über fast 200 Jahre hinweg trotzdem reichlich, sowohl bei den Begrifflichkeiten als auch der Funktion des inneren Hinterbeins als Angelpunkt.
Zwei Beschreibungen der Hinterhandwendung, zwischen denen gut 180 Jahre liegen, spiegeln besonders in dem letzteren Punkt ein sich deutlich unterscheidendes Verständnis von der Ausführung dieser Lektion wider. So heißt es in den von der Deutschen Reiterlichen Vereinigung herausgegebenen Richtlinien für Reiten und Fahren in der aktuellen Fassung (2018): „Die Hinterhandwendung erfolgt immer aus dem Halten. (…) Der Reiter behält das Pferd bei sicherer Anlehnung in Innenstellung und mit leichter Längsbiegung. Das äußere Hinterbein beschreibt einen kleinen Halbkreis um das innere herum, dabei dürfen die Hinterbeine nicht kreuzen. Der Wendepunkt liegt möglichst nah am inneren Hinterbein, das dabei möglichst taktmäßig auf- und abfußt. Die Vorderbeine treten vorwärts-seitwärts und kreuzen. Während der gesamten Wendung bleibt der Viertakt des Schrittes erhalten. Ein Zurücktreten oder „Am-Boden-Haftenbleiben“ ist fehlerhaft, da das Pferd dann nicht sicher an den treibenden Hilfen ist. Die aus dem Halten gerittene Hinterhandwendung, die mit einem Schritt vorwärts eingeleitet wurde, endet auch wieder im Halten. Da das Pferd während der Hinterhandwendung den ursprünglichen Hufschlag geringfügig verlässt, muss es zuletzt mit einem vorwärts-seitwärtsgerichteten Schritt gerade auf den Hufschlag zurückgeführt werden. Nur während dieses letzten Schrittes darf der äußere Hinterfuß vorwärts-seitwärts übertreten.“
1837 beschreibt E. F. Seidler (1798–1865), Stallmeister an der Berliner Lehr-Eskadron, diese Übung in seinem Werk „Die systematische Bearbeitung des Campagne- und Gebrauchspferdes“ folgendermaßen: „Die Wendung auf der Hinterhand ist die schwerste. Man nimmt im Allgemeinen an, dass der Drehpunkt zwischen beiden Hinterfüßen liegt. Der inwendige Hinterfuß soll bei der Wendung etwas zurück, der auswendige etwas vortreten. Doch bei genau und gut ausgeführter Wendung dient der inwendige Hinterfuß allein zum Stütz- und Drehpunkte.“
So weit, so gut. Doch statt eines taktmäßigen Abfußens des inneren Hinterbeins fordert er: „Der inwendige Hinterfuß darf seine Stelle nicht verlassen, er dreht sich am Boden auf der Stelle, der auswendige Hinterfuß tritt um denselben herum.“ Seidler war mit dieser Ansicht durchaus nicht allein; so sprachen sich verschiedene andere Autoren, unter anderem auch Hans v. Heydebreck (1866–1935), der diese Ansicht später revidierte, für den am Boden drehenden inneren Hinterfuß aus. Vor allem in späterer Zeit propagierten jedoch die weitaus meisten Ausbilder, so auch Waldemar Seunig und Alois Podhajsky, das taktmäßige Auf- und Abfußen des inneren Hinterbeines in der Wendung, wobei sie dafür ganz unterschiedliche Begründungen liefern.
In seinem Hauptwerk „Von der Koppel bis zur Kapriole“ (1943) vertritt Waldemar Seunig (1887–1976) die Ansicht, dass dem Pferd mit einem feststehenden Hinterbein ein Mittel gegeben werde, sich auf die Hand zu legen und sich so der korrekten Ausführung der Übung zu entziehen. Deswegen müsse die Wendung um die Hinterhand immer aus der Bewegung erfolgen: „Auch wenn sie nach vorherigem Halten ausgeführt wird, müssen als Einleitung die Beine erst zur Vorwärtsbewegung ansetzen, ehe die Hilfen zur Wendung in Wirkung treten. (…) Beachtet man dies nicht, verliert die Wendung um die Hinterhand ihren dressurmäßigen Wert. Auch ihre praktische Anwendbarkeit leidet darunter, da das stillstehende Pferd bei sofortigem Einsetzen der Hilfen es lernt, bei festgestelltem, sich auf der Stelle drehenden inneren Hinterfuß und ausfallender Schulter eine Stütze auf der Hand zu suchen. Seine leichte Wendbarkeit, eines der Ziele der Gebrauchsreiterei, verringert sich hierbei, statt verbessert zu werden.“
Einen weiteren Aspekt der Priorität der Vorwärtsbewegung gegenüber den Hilfen zur Wendung zeigt Egon v. Neindorff (1923–2004) in „Die reine Lehre der klassischen Reitkunst“ auf. Er weist darauf hin, dass der Vorwärtsimpuls im natürlichen Verhalten des Pferdes begründet liegt. „Er muss darum in allen versammelnden Lektionen von Anfang an vorherrschen. Um ihn keinesfalls zu stören, erlaube ich dem Pferd nicht nur, die Hinterhandwendung aus dem Halten mit einem halben Schritt vorwärts einzuleiten; ich fordere das bewusst und lehre es so auch meine Schüler. Denn nur, wenn der Vorwärtswille auch in der Wendung um die Hinterhand beim Pferd wie beim Reiter ohne Einschränkung wirksam bleibt, kann man die lösende Vorhandwendung ehrlich durch versammelndes Wenden des Pferdes um den taktmäßig untertretenden inneren Hinterfuß ergänzen.“
Von der Hinterhandwendung unterscheidet sich die eng verwandte Lektion des Kurzkehrt lediglich dadurch, dass die Hinterhandwendung aus dem Halten, das Kurzkehrt aber aus der Bewegung heraus geritten wird. In den Richtlinien für Reiten und Fahren heißt es dazu: „Der Unterschied liegt darin, dass das Kurzkehrt aus dem Mittelschritt oder aus dem Trab erfolgt. (…) Bei einer Kurzkehrtwendung aus dem Trab pariert der Reiter zum Schritt durch, bevor er die Hilfen wie bei der Hinterhandwendung gibt, um daraus sofort wieder anzutraben.“
Im selben Sinne drückt sich Alois Podhajsky (1898–1973) in seinem Werk „Die Klassische Reitkunst“ zur Frage, in welcher Gangart das Kurzkehrt geritten werden soll, so aus: „Kurzkehrtwendungen können nur im Schritt ausgeführt werden. (…) Wird ein Kurzkehrt verlangt, wenn sich das Pferd im Trab oder Galopp befindet, so muss es zuerst in den Schritt pariert werden. Nach beendeter Wendung um die Hinterhand geht der Reiter wieder in den Trab oder Galopp über.“ Auch für Podhajsky ist das am Boden haftende innere Hinterbein bei Wendungen um die Hinterhand schlichtweg fehlerhaft. Dazu schreibt er: „Falsch und sogar wertlos ist die Kurzkehrtwendung, wenn der innere Hinterfuß wie ein Pfahl festgerammt am Boden stehen bleibt und in der ganzen Wendung nur ein bis zweimal kurz gehoben wird.“ Seine Begründung leuchtet ein: „Die Reitkunst kennt das Pferd entweder in der Bewegung oder im Stand der Ruhe – also stehend. (…) Da die Kurzkehrtwendung eine Übung in der Bewegung ist, haben sich die Hinterbeine in der Fußfolge des Schrittes zu drehen, genauso wie sie die halbe Pirouette im Galoppsprung auszuführen haben.“
Gregor v. Romaszkan beschreibt das Kurzkehrt in „Reiten lernen“ (1957) ebenfalls als eine aus der Bewegung heraus gerittene Lektion, betont aber, dass es nicht nur aus dem Schritt und Trab, sondern auch aus dem Galopp geritten werden könne: „Das Pferd muß, je nach der Gangart, in der die Übung ausgeführt wird, im Schritt, im Trab oder im Galopp auf einem Halbkreis um den inneren Hinterfuß treten.“ Deutlicher wird er allerdings nicht und auch seine Anweisungen zur Hilfengebung verwundern, denn er empfiehlt das Herumdrücken des Pferdes mittels äußerem Schenkel („Das Pferd wird, wie bei der Kruppwendung, mit äußerem Schenkel und unter Beihilfe der Zügel um den inneren Hinterfuß herumgedrückt“) – ein Kardinalfehler, weil dabei die Hinterbeine unweigerlich zu kreuzen beginnen würden, was die Lektion ad absurdum führt.
Nicht nur, was das am Boden drehende innere Hinterbein angeht, hat E. F. Seidler ein von der Definition anderer Meister deutlich abweichendes Verständnis vom „Kurzkehrt“. Anders als die anderen Autoren beschreibt er es als ein Herumwerfen des Pferdes im Galopp und als ein im militärischen Sinne notwendiges Mittel, um im Kampf schnellstmöglich die Richtung ändern zu können: „In der Kurzkehrtwendung nimmt das Pferd, wie beim Hankenbiegen, die ganze Last zuerst auf beide Hinterfüße auf, erhebt die Vorhand, dreht sich darauf bis zur entgegengesetzten Seite, vermehrt auf den inwendigen Hinterfuß gestützt, und zieht den auswendigen Hinterfuß im Kreise nach.“ E. F. Seidler betont ausdrücklich, dass das Pferd zum einen hervorragend durchgymnastiziert und gekräftigt sein und zum anderen einen hohen Versammlungsgrad haben muss, um mit nur einem Galoppsprung die Richtung wechseln zu können: „Soll die Wendung aus dem Galopp ohne weiteres Verhalten hervorgehen, so muß das Pferd in den letzten Sprüngen vor der Wendung gut versammelt seyn, und in dem letzten Galoppsprunge, (…) den inwendigen Hinterfuß genau unter den Schwerpunkt des Reiters stellen, dann senkt sich die Hinterhand wiegend herab, die Vorhand wird sich leicht erheben, und bei erlangter Fertigkeit mit einem Sprunge herumdrehen.“ Das Versammeln des Pferdes vor einer Wendung auf der Hinterhand kommt für E. F. Seidler, wie auch für andere Ausbilder, immer vor dem Einleiten der Lektion. Außergewöhnlich ist bei ihm jedoch sicher der hohe Grad der Versammlung, mit der das Pferd bereits in die Lektion hineingeht: „Das Pferd wird hierzu gut aufgerichtet, beinahe bis zum Grade des Rückwärtsrichtens in sich zurück- und zusammengeschoben. So wie das Pferd die Last vermehrt auf die Hinterfüße aufgenommen hat, (…) führen wir mit dem inwendigen Zügel die Vorhand zur Wendung an, der auswendige Zügel erhält die Aufrichtung und Versammlung, giebt jedoch zu jedem neuen Tritte erneuert nach, damit die Vorderfüße die Tritte vollführen können.“
Oscar M. Stensbeck (1858–1939) definiert das Kurzkehrt im Galopp in seinem Buch „Reiten“ (1935) als eine halbe Pirouette (wie unter anderem auch Waldemar Seunig und Alois Podhajsky). Ein bloßes Herumwerfen auf der Hinterhand lehnt er kategorisch ab: „Es ist als falsch anzusehen, wenn das Pferd mit einmaliger Umdrehung auf der Hinterhand ohne einen zweiten Galoppsprung und dabei erhobener Vorhand die Wendung ausführt.“ Sein Kriterium ist allerdings nicht die Zahl der Galoppsprünge, sondern, wie auch für Seidler, die korrekte Versammlung, die das Pferd in die Lage versetzt, diesen prompten Richtungswechsel unbeschadet zu absolvieren: „Dagegen würde ich es nicht für falsch halten, wenn die Wendung bei leicht gesenkter Kruppe gut am Zügel ohne Überzäumung, wenn auch nur mit einem Galoppsprung, ausgeführt wird.“
Konsequenterweise gelten bei ihm für die Pirouette dieselben Kriterien wie für das Kurzkehrt: „Vervollkommnet man die Wendung bis zur Pirouette, verdoppelt die Kurzkehrtwendung also, so gilt hierfür derselbe Grundgedanke. Das Pferd soll nicht so schnell als möglich herumgeworfen werden, sondern es soll auf dem möglichst kleinsten Kreise hinten untergesetzt galoppieren (…) und mit der Vorhand um die Hinterhand herumgaloppieren.“
Auch Egon v. Neindorff weist auf den Umstand hin, dass der Begriff des Kurzkehrt nicht in einer einheitlichen Bedeutung verwendet wird, sieht das aber in dem engen Zusammenhang von Kurzkehrt und Pirouette gerechtfertigt: „Auch im deutschen Sprachbereich wird das hier verwendete Wort ‚Kurzkehrtwendung‘ nicht immer gleichartig verstanden. Die FN-Richtlinien haben sich nicht auf die früher vielfach bindende Vorschrift ‚nur im Schritt zu reiten‘ oder dergleichen festgelegt(…). Gemeinsam hat die Kurz-
kehrtwendung mit den in höherem Versammlungsgrad gerittenen Pirouetten: Einleitung durch eine Parade zum Unterbrechen der bisherigen Vorwärtsbewegung, unmittelbar anschließend Herumführen des Pferdes mit den gleichen Hilfen wie zur Wendung auf der Hinterhand; Kreuz und innerer Schenkel hindern dabei vortreibend den inneren Hinterfuß am Zurücktreten, während der äußere Schenkel hinter dem Gurt wirkend die Hinterhand auf dem Hufschlag hält. Dem steht nicht entgegen, die Kurzkehrtwendung nach bewährter Praxis aus Trab und Galopp auch mit Parieren zum Schritt einzuleiten und nach Rückkehr der Vorhand auf den Hufschlag in entgegengesetzter Richtung und Stellung sofort wieder flüssig zur bisherigen Gangart überzugehen.“
Die meisten Ausbilder sind sich einig in der Überzeugung, dass es der innere Hinterfuß ist, der in der Pirouette die meiste Last aufnimmt. Auch Egon v. Neindorff äußert sich dazu in diesem Sinn: „Der innere Hinterfuß übernimmt mit dem Verengen der Wendung vermehrt die Last, die die anderen drei Füße, besonders der äußere Hinterfuß, ihm zuschieben. Nur große Biegsamkeit des inneren Hinterbeines und die Kraft, die Last jederzeit kräftig fortzuschnellen, befähigt ein Pferd zur Pirouette. Vorbedingung ist die sichere, einwandfreie Kurzkehrtwendung.“
Trotzdem scheiden sich am Thema der Lastaufnahme des inneren Hinterbeins die
Geister. So liefert Waldemar Seunig ein überzeugendes Argument dafür, warum es tatsächlich nicht der innere, sondern der äußere Hinterfuß sein könnte, dem dabei die größere Bedeutung zukommt: „Da die Pirouette um die Nachhand ausgeführt wird, ist es klar, daß daran beide Hinterbeine beteiligt sind und auch beide die Last aufnehmen müssen, die größere Rolle aber spielt der äußere Hinterfuß, was schon durch das gegenseitige Verhältnis beider Gliedmaßen beim Auffußen bedingt ist.“ Der entscheidende Faktor, der die Lastaufnahme kennzeichne, sei der Grad der Beugung der Hinterhandgelenke: „Dadurch, daß das innere Hinterbein im Moment der Lastaufnahme verhältnismäßig weiter untergesetzt wird, darf man sich nicht täuschen lassen. Das Maßgebende ist die Beugung im Hanken- und Sprunggelenk, die aber gerade in dieser Phase, wo das innere Hinterbein angeblich die Hauptlast trägt, schon infolge der größeren Streckung nach vorne nicht annähernd so intensiv sein kann wie beim äußeren Hinterfuß im vorhergehenden Tempo der Fußfolge, wo eben die Teildrehung erfolgt ist.“
Wie es auch gedreht und gewendet wird – die Wendungen um die Hinterhand sind in der Tat eine Wissenschaft für sich. Jedoch eine Wissenschaft, die sich lohnt.
(Cora von Hindte-Mieske)