Teil 1: Ausbildungs-Standort von Reiter und Pferd bestimmen
Von Maren Jonasdofsky
Es gibt wohl kaum einen Reiter, der die Situation nicht kennt: Man sitzt am Sonntagabend ganz entspannt im Reiterstübchen und so nach und nach trudeln aufgeregt durcheinanderschwatzend die Turnierreiter des Stalles vom regionalen Turnier wieder ein. Man hört zu, was über die Richter erzählt wird und lauscht den aufgeregten Diskussionen über die Trabverstärkung von Fritz Müller auf „Fridolin“, die doch eigentlich eher schwach war und trotzdem hat er die L-Dressur mit 8,5 gewonnen…..
Man sitzt da, hört zu und irgendwann fragt einer aus der weißbehosten Runde: „Sag mal, was macht denn deine Persephone eigentlich, die ist doch jetzt auch schon acht?“
Äh, ja. Persephone ist auch schon acht. Dabei war es doch grade erst gestern, als die vierjährige, gerade angerittene Stute die frisch geweißte Box bezog.
„Ja, was reitet ihr denn?“
Ääääääähhhh, ja, was reiten wir denn? „Wir waren gerade heute zwei Stunden im Wald, da ging sie richtig toll…“ stottert man sich dann zurecht und wartet auf die gefürchtete Frage: “Ja, aber ich meine dressurmässig und so….“ Nichts wie raus hier.
Zuhause sitzt man dann etwas gedankenverloren und grübelt über die eigenen dressurreiterlichen Ideale nach. Natürlich weiß man, dass der körperlichen Gesundheit des Pferdes eine solide und vernünftige Dressurausbildung nur gut tut. Und immer lässig im Wald geradeaus macht zwar Spaß, aber die Beweglichkeit und Geschmeidigkeit fördert das nicht gerade. Und der letzte Winter war auch eher unbefriedigend – da hat man zwar die Halle, aber so richtig gearbeitet hat man nicht. Früher, ja früher mit dem alten Argentan da war das anders, der konnte alles und da machte Dressurreiten so richtig Spaß…..
Der eigene Ehrgeiz ist plötzlich erwacht. Es muss ja nicht unbedingt gleich Turniersport sein, aber eine Grundlage möchte man sich doch schaffen. Fehlt nur noch eine solide Idee, wie man das am besten anfängt….
Mit dieser Artikelserie möchten wir Ihnen und Ihrer ‚Persephone‘ Vorschläge für ein gezieltes, langfristiges Arbeitsprogramm an die Hand geben, ohne dass Ihnen dabei die Freude am Ausreiten oder das Vergnügen an dressurmässiger Arbeit genommen wird.
In jedem Artikel finden Sie Ziele und Vorschläge für etwa acht Wochen Reitvergnügen. Aber ehe Sie sich an die Zusammenstellung der passenden Aufgaben machen können, brauchen wir eine Bestandsaufnahme von Ihnen und Ihrem Pferd.
Unser in dieser Artikelserie vorgestelltes Pferd verbringt seine Zeit in einem ganz durchschnittlichen Pensionsbetrieb. Es gibt dort ein paar Koppeln, große, gemütliche Außenboxen, eine Reithalle mit den Standardmaßen 20×40 m und einen großen Außenreitplatz, der leider ein bisschen wetterempfindlich ist. Das Ausreitgelände ist nicht umwerfend, aber man kann was draus machen, Felder, ein paar vernünftige Feldwege, und der Wald ist auch erreichbar. Reitlehrermässig sieht es leider nicht so gut aus, aber das Basiswissen wird hier ganz gut vermittelt.
So weit so gut – das ist der mittlerweile fast überall gängige „stalltechnische“ Standard. Wobei es natürlich auch Tipps für die Reiter geben wird, die ohne Halle auskommen müssen.
Es gilt nun einigermaßen objektiv herauszufinden, wo der eigene augenblickliche, reiterliche Standort ist. Und wo genau die Schwächen des Reiters und Pferdes liegen: Ein schwieriges Unterfangen, das sich aber durchaus bewerkstelligen lässt.
Checkliste erstellen
Reitausrüstung
Alle Riemen und Gurte (Zügel!) in Ordnung, Steigbügelriemen okay, Steigbügeleinlagen noch griffig? Wenn nicht, rechtzeitig ersetzen.
Muss der Sattel nachgepolstert werden? Liegt er noch korrekt? Falsch liegende Sättel können große reiterliche und auch gesundheitliche Probleme verursachen – lassen Sie sich notfalls von einem seriösen Sattler beraten.
Ist das Gebiss an den Ringen scharfkantig ausgeschlagen? Wenn ja, sofort austauschen und das alte wegwerfen.
Pferd überprüfen
Sind alle Impfungen und Wurmkuren durchgeführt?
Wann wurden das letzte Mal die Zähne kontrolliert? Lassen Sie ein Blutbild anfertigen. Es zeigt frühzeitig Veränderungen im Körper Ihres Pferdes. Jährlich angefertigt kann es viele Überraschungen ersparen und im akuten Krankheitsfall haben Sie aktuelle Vergleichswerte Ihres (gesunden) Pferdes zur Hand.
Hat es irgendwelche körperlichen Schwachstellen (alter Sehnenschaden, angeschlagene Hufrolle, empfindlicher Rücken…), die man bei der Arbeit berücksichtigen muss? Wenn ja, halten Sie sie schriftlich fest. Tragen Sie fällige Termine wie Tierarzt oder Schmied frühzeitig in den Kalender ein und verschieben Sie sie nicht unnötig.
Fotografieren Sie Ihr „unbekleidetes“ Pferd von allen Seiten, auch direkt von hinten (gleichmäßige Entwicklung der Hinterhand- und Kruppenmuskulatur). Stellen Sie es auf einer möglichst ebenen Fläche auf. Es geht hier nicht um Schönheit, sondern um den Körperbau und die Bemuskelung. Anhand der Bilder lässt sich später gut nachvollziehen, ob und in welcher Weise Ihr Pferd sich durch die geänderte Arbeit körperlich verändert hat.
Überprüfen Sie sich selbst
Die Wurmkur dürfen Sie für sich selbst ausfallen lassen – aber eine Tetanusimpfung sollten Sie schon haben. Haben Sie körperliche „Schwachstellen“, wie z.B. eine Beckenschiefstellung oder ungleich lange Beine? Ein Besuch beim Orthopäden kann hier sehr informativ sein und auf wundersame Weise lange bestehende Probleme beim Reiten erklären oder auflösen. Überprüfen Sie Ihre individuelle Reitkleidung. Sie brauchen in jedem Fall gutes Schuhwerk und Reithandschuhe. Lesen Sie ein paar gute Bücher zum Thema Reiten und Ausbildung (Buchtipps finden Sie u.a. in unserer Bücherecke).
Arbeitstage festlegen
Legen Sie sich auf mindestens drei Wochentage fest, an denen Sie definitiv reiterlich „arbeiten“ werden. Berücksichtigen Sie dabei Ihre eigene terminliche Situation und die Zeitabläufe (Reitunterricht, Hochbetrieb) in Ihrem Stall. Sie sollten Streß und Gedränge an diesen Tagen vermeiden. Tragen Sie diese Tage fest in Ihren Kalender ein. Verschieben Sie möglichst nichts und gewöhnen Sie sich in der nächsten Zeit an einen bestimmten „pferdischen“ Wochenarbeitsrhythmus. Mindestens ein Tag pro Woche sollte für reine Boden- oder Handarbeit reserviert sein, ein weiterer zum „Bummeln“. Stehtage gibt es nicht für ein gesundes Pferd – besonders dann nicht, wenn der Vierbeiner nur wenige Stunden am Tag auf die Weide kommt.
Buch führen
Schreiben Sie täglich und so detailliert wie möglich auf, was Sie mit Ihrem Pferd gemacht haben und notieren Sie aufgetretene Probleme. So kann man später nicht nur Fortschritte verfolgen, sondern auch rückblickend nachvollziehen, ob und wann bestimmte Probleme besonders auftraten. Bewerten Sie dabei nicht („Heute war alles Mist! Die sind geritten wie die Husaren!“), sondern bleiben Sie so neutral wie möglich („Dauerhafte Probleme beim Halten, sprang immer im Außengalopp an auf der rechten Hand, Halle war sehr voll)“.
Eigenen reiterlichen Standort bestimmen
Das ist der komplizierteste Teil der Vorbereitung. Wenn Sie ein Turnierreiter wären, hätten Sie eine relativ wertneutrale Beurteilung Ihres reiterlichen Könnens durch die Richter. Die Protokolle wären eine gute Richtschnur für die kommende Winterarbeit – aber die haben Sie nicht. Hätten Sie einen guten Reitlehrer zur Hand, käme diese Herangehensweise, wie wir sie gerade planen, für Sie erst gar nicht in Frage. Dennoch gibt es verschiedene Möglichkeiten, mit denen Sie Ihre Ausgangslage einschätzen können: Suchen Sie sich in Ihrem Stall einen Reiter oder eine Reiterin, die in Ihrem Sinne reitet, weihen Sie ihn oder sie in Ihre Pläne ein und bitten Sie um Starthilfe: Reiten Sie entsprechend Ihren eigenen Vorkenntnissen eine Dressuraufgabe aus dem Aufgabenheft der LPO vor und lassen Sie sich ein schriftliches Protokoll anfertigen. Oder Sie lassen sich beim Reiten „beobachten“ und erhalten darüber eine schriftliche Zusammenfassung. Das funktioniert aber nur, wenn Sie wirklich ein gutes reiterliches Zutrauen zu Ihrem auserwählten „Kontrolleur“ haben.
Begehen Sie nicht den Fehler, zu viele Personen zu Rate zu ziehen. Von zehn Reitern werden Sie sonst elf Meinungen hören und irgendwann entnervt aufgeben.
Lassen Sie sich auf Video aufzeichnen. Entweder reiten Sie auch hierbei eine Aufgabe der LPO oder Sie erklären laut während des Reitens, was Sie gerade erarbeiten wollen. Es ist verwunderlich, was man manchmal reiten möchte und welche Hilfen man tatsächlich gibt – dieser Unterschied wird einem beim Anschauen solcher Videoaufzeichnungen dann besonders deutlich. Machen Sie nicht nur eine Aufnahme, weil man da besonders gerne verkrampft und gehemmt reitet, sondern lassen Sie sich an mehreren aufeinanderfolgen Tagen filmen, vielleicht sogar bei der Bodenarbeit, dem Longieren oder dem täglichen Umgang. Es ist sehr aufschlussreich zu sehen, was man wirklich tut – gerade wenn sich schon jahrelang Gewohnheiten herausgebildet haben. Videoaufnahmen haben auch den Vorteil, dass man nicht nur die eigene Aktion sehen kann, sondern auch die sofortige Re-Aktion des Pferdes.
Belegen Sie mit Ihrem Pferd einen Reitlehrgang oder einige Reitstunden bei einem fremden Reitlehrer oder nehmen Sie „auswärts“ auf guten Schulpferden einige Stunden Reitunterricht. Fremde werden Sie in der Regel gerechter und aufrichtiger beurteilen als Mitreiter, die Sie schon länger kennen. Schreiben Sie auch hier auf, was Ihnen wichtig ist oder lassen Sie sich eine Art „schriftliches Zeugnis“ ausstellen. Die meisten Reitlehrer werden zwar verwundert schauen, wenn Sie sie darum bitten, aber es ist für die Arbeit zuhause, wenn man auf sich allein gestellt ist, sehr hilfreich.
Eine gute Hilfe zur Dokumentation ist unser Ausbildungstagebuch, ein immer währender Kalender, der reichlich Platz bietet. Dazu wöchtentliche und monatliche Übersichten und Platz um nötige Besuche wie Tierarzt oder Schmied/Hufpflege festzuhalten.