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Wenn Pferde verschwinden: Das Geschäft mit Beistell- und Rentnerpferden

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft „Putzmunter! Glücklich mit älteren Pferden“.

Foto: www.slawik.com

Beate Landwehr ist 48 Jahre alt und sicher ist: Die meisten dieser Jahre waren bestimmt von Pferden. Das Anreiten und die Ausbildung junger Pferde ist ihre Passion und seit ihrer Jugend reitet Beate Landwehr eigene Pferde in Dressur und Springen sportlich ambitioniert bis in die Klassen L und M.

„Ich habe keine rosarote Brille auf im Umgang mit Pferden, ich nehme sie, wie sie sind und habe einen nüchternen Umgang“, schätzt die resolute Frau sich ein. Das schließt das Nachdenken über die Zeit nach dem Sport mit ein: Dass Pferde nur eine begrenzte Zeit ihres Lebens im aktiven Sport verbringen können, war Beate Landwehr immer schon bewusst – und damit, dass auch nach Ende dieser Karriere für das Tier verantwortungsvoll gesorgt sein muss.

Deshalb nahm die Pferdebesitzerin vor drei Jahren große Mühen auf sich, als ihr damals 15-jähriger Wallach Wim Bob Walton nach einer Verletzung aus dem Sport genommen werden musste. „Die ärztlichen Prognosen sagten leider, dass Wim Bob nie wieder voll belastbar sein würde – da habe ich dann entschieden, dass er fortan als ‚Frührentner‘ auf die Wiese darf“, erzählt Beate Landwehr, die damals noch nicht ahnte, welches bis heute andauernde Drama ihr nun bevorstand.

„Mafiöse Strukturen“

Denn trotz eines Lebens voller Pferdeerfahrung lief sie in eine offenbar geschickt aufgespannte Falle, eine „absolut perfektionierte, auf mafiösen Strukturen bauende Verwertungskette für Pferde“, wie sie das heute nennt.

Kurz vor dem Winter stieß Beate Landwehr auf eine Kleinanzeige, in der ein Beistellpferd für eine ältere Zuchtstute gesucht wurde. „Das war zwar 90 Kilometer von mir entfernt, aber in einer Richtung, in die ich eh ab und an fahre – deshalb habe ich auf die Anzeige reagiert und die Inserentin kontaktiert.“ Bei der handelte es sich um eine Zollbeamtin mit kleiner und beim Landesverband registrierter Pferdezucht. „Die Gespräche waren nett, die Frau klang engagiert und normal fachkundig, da gab es jedenfalls erstmal keinerlei Ecken, an denen man sich hätte stoßen können.“

Trotzdem wollte Beate Landwehr es bei einem telefonischen Kontakt nicht belassen. „Fast drei Stunden war ich vor Ort, habe alle Pferde, Stallanlagen und Weiden gesehen und ausführlich mit der Frau gesprochen – da gab es nichts zu beanstanden“, sagt sie noch heute. „Nach dem Besuch habe ich nochmal ebenso lange mit Internetrecherchen nach dieser Frau und ihrem Lebensgefährten zugebracht und auch da war alles clean.“

Ein weiterer Besuch wurde verabredet und auch danach blieb der gute Eindruck bestehen. Trotzdem nahm sich Beate Landwehr nach dem zweiten Treffen nochmal drei Wochen Bedenkzeit, bis sie sich schließlich im Januar 2016 entschied, Wim Bob tatsächlich als Beistellpferd an diese Frau abzugeben. „Als Wim Bob dann in sein vermeintlich neues Zuhause gebracht wurde, hatte ich sogar weitere pferdeerfahrene Begleiter dabei, von denen alle sagten: Das ist ein guter Platz.“ Deshalb ließ sie sich auch am Ende dazu überreden, ihr Pferd für einen symbolischen Euro abzugeben – gegen das ausdrückliche Versprechen, Wim Bob einen Platz bis ans Lebensende zu bieten und im Fall veränderter Umstände das Pferd wieder an Beate Landwehr zu verkaufen.

Im Mai 2016 fand sich die Gelegenheit, einen Abstecher zu ‚ihrem‘ Pferd zu machen. In den Wochen zuvor hatte sie per SMS mehrfach nachgefragt, alles schien in Ordnung. Der Besuch vor Ort aber wurde nun mit einer – im Nachhinein fadenscheinig wirkenden – Begründung verweigert: Alle Pferde seien weit draußen auf Sommerweiden, die ohne Begleitung nicht zu finden seien. Und sie selbst, so die Stallbesitzerin, habe für eine Begleitung keine Zeit. Dass der Besuch bei Wim Bob deshalb ins Wasser fiel, war für Beate Landwehr schade, aber noch immer nicht verdächtig.

Erst als im zweiten Halbjahr 2016 auch die Nachfragen per SMS nicht mehr beantwortet wurden, keimte ein erster Verdacht, dem Pferd könne etwas geschehen sein. „Trotzdem habe ich mich damit beruhigt, dass ich ja gerade in diesem Fall bestimmt eine Nachricht erhalten hätte“, sagt Beate Landwehr, „ich wollte einfach gern denken, dass ohne Nachricht alle in Ordnung ist.“

Aber sie lag falsch.

Über Facebook organisiert

Wim Bob war zu diesem Zeitpunkt wohl längst in die „Verwertungskette“ gelangt, wie Beate Landwehr das nennt: Sie will inzwischen ein Netz aus angeblichen Gnadenbrothöfen, Händlern und Schlachtern ausgemacht haben, das sich nicht nur über Norddeutschland erstrecken soll. Nur durch Zufall erfuhr Beate Landwehr durch einen Facebook-Eintrag, dass auch andere Betroffene Pferde vermissten und konnte deren Schilderungen schnell mit der angeblich so zuverlässigen Zollbeamtin in Verbindung bringen, der auch sie ihr Pferd anvertraut hatte.

„Über Facebook haben wir uns dann organisiert, gezielt Informationen gesammelt und auch vor Ort mit vielen Helfern recherchiert“, erzählt Beate Landwehr. „Dabei hat sich gezeigt, dass es einen gut organisierten Verschiebebahnhof für solche Pferde gibt. Pferde werden unter dem Vorwand, Altersruhesitze zu bieten, billig übernommen und dann teils zu absurden Preisen an unwissende und oft wenig sachkundige Käufer wieder verkauft, manchmal mehrfach hintereinander. Das funktioniert deshalb so gut, weil in vielen Fällen ‚blauäugig‘ auf ‚abgezockt‘ trifft: Gutmeinende Privatleute kaufen bei routinierten Betrügern Pferde, die ihnen einfach leidtun und bei denen sie deshalb über jeden Widerspruch hinwegsehen.“

47 verschwundene Pferde haben Beate Landwehr und ihre Mitstreiter bis heute identifiziert, nur eines konnte bislang erfolgreich zurückgeholt werden und lebt heute wieder bei seiner früheren Eigentümerin. „Von vier Pferden wissen wir verbindlich, dass sie geschlachtet wurden“, berichtet die hartnäckige Rechercheurin, „und zwar obwohl es sich ausdrücklich nicht um Schlachtpferde handelte.“ Auch Behörden hätten inzwischen bestätigt, dass entsprechende Verstöße in Schlachthöfen festgestellt wurden, trotzdem sei lange Zeit nicht konsequent gegen Verdächtige und Hintermänner ermittelt worden. Da die Pferde häufig gegen einen symbolischen Euro an die angeblichen Gnadenbrothöfe abgetreten worden waren, habe es an dem für einen Betrug typischen Vermögensschaden gefehlt. Dennoch hat Beate Landwehr den von ihr damals abgeschlossenen Schutzvertrag, den die Stallbesitzerin ihr vorgelegt hatte, vorsorglich angefochten und bereitet gemeinsam mit ihrem Anwalt eine Klage vor.

Schwerpunktermittlungen

Eine gewisse Wende sei erst eingetreten, nachdem eine norddeutsche Polizeibehörde eine Schwerpunktermittlerin für die Verfahren in Sachen „verschwundene Pferde“ eingesetzt habe. „Die hat dann sehr aufmerksam auch die Verfahren aus anderen Bundesländern eingesammelt, die dort bislang als scheinbarer Einzelfall nicht ausreichend Beachtung gefunden hatten“, erzählt Beate Landwehr. Die Ermittlerin sei fachkundig und interessiert, von ihrer Arbeit erhoffen sich die Betroffenen nun viel. Erst vor Kurzem habe eine umfangreiche Durchsuchung von Wohn- und Betriebsstätten der Verdächtigen stattgefunden, über die genauen Ergebnisse sei aber noch nichts bekannt. Auch habe die Behörde nun von Amts wegen Ermittlungen in Fällen aufgenommen, in denen die Betroffenen selbst keine Strafanzeigen gestellt hatten – das rechtfertige inzwischen das öffentliche Interesse an diesen Fällen. Die zuständige Polizeiinspektion ermittelt weiter, die Federführung liegt bei der Staatsanwaltschaft Verden, die aber aus ermittlungstaktischen Gründen keine weiteren Auskünfte erteilen möchte.

Bei ihrer öffentlichen Suche nach den verschwundenen Pferden seien sie und ihre Mitstreiter allerdings auch immer wieder selbst Vorwürfen ausgesetzt, berichtet Beate Landwehr: „Wir bekommen immer wieder zu hören, wir seien am Ende doch selbst schuld, wenn wir unsere Pferde in fremde Hände geben. Wenn wir selbst ein Pferd abgeben, müsse doch auch der Übernehmer berechtigt sein, damit zu tun, was er will.“ Das Argument will die resolute Frau aber so nicht gelten lassen: „Es kann gute Gründe geben, ein altes oder verletztes Pferd nicht selbst zu behalten, sondern in eine Haltung zu geben, die den Umständen nach besser geeignet ist als der Pensionsstall für Sportpferde. Das hat mit der Frage von Kosten erstmal nicht viel zu tun – gleichzeitig ist aber der Unterhalt eines alten Pferdes gar nicht zwangsläufig teurer, oft im Gegenteil: Ein Pferd, das nicht sportlich geritten wird, braucht auch keine Anlage mit gut ausgebauter Trainingsinfrastruktur, ordnet Beate Landwehr ein. Deshalb sei es keineswegs ungewöhnlich, wenn Einstellplätze für Renter- oder Beistellpferde günstiger angeboten werden als für sportlich aktiv genutzte Dressur- oder Springpferde.

Daher seien auch die Möglichkeiten, einem Missbrauch vorzubeugen, gering. Sie selbst sehe jedenfalls auch im Nachgang nichts, was sie hätte besser machen können: „Ich habe mich sehr intensiv informiert, war vor Übergabe des Pferdes zweimal vor Ort, habe auch Freunde und Bekannte vor Ort nachschauen lassen – das ist wesentlich mehr, als die meisten Menschen in dieser Situation unternehmen, wie ich aus Gesprächen weiß.“ Beate Landwehr hat deshalb für sich entschieden, nie wieder eines ihrer Pferde einem solchen Risiko auszusetzen, alle sollen bleiben bis zum Ende: „Ich weiß, dass das nicht für jeden die Lösung sein kann, aber ein Tier wegzugeben, bedeutet eben, die Kontrolle zu verlieren. Ich will das nach dieser Erfahrung nicht mehr, ich habe da das Vertrauen in andere Menschen verloren.“

Aber auch die Suche nach Wim Bob will Beate Landwehr nicht aufgeben. „Am schlimmsten sind die Selbstvorwürfe, einem Pferd den ruhigen und gut versorgten Lebensabend versprochen zu haben und es stattdessen einer völlig ungewissen Zukunft oder dem Tod ausgeliefert zu haben.“ Zum Bild ihres vermissten Pferdes sage sie jeden Abend: „Ich werde Dich finden.“ (Nils Michael Becker)

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft „Putzmunter! Glücklich mit älteren Pferden“.