Bevor sich im Reitsport und bei der Pferdehaltung etwas bewegt, müssen dicke Bretter gebohrt werden: Veränderungen vollziehen sich nur im Schneckentempo, obwohl zahlreiche Studien belegen: reine Boxenhaltung ist Gift für Pferde.
Der Pionierin Ursula Bruns ist es zu verdanken, dass nicht nur Zuchtpferde von der Weidehaltung profitieren können. In den 1960er-Jahren importierte sie Islandpferde und schuf so die Grundlage dafür, dass der Reitsport in den kommenden Jahrzehnten zum Breitensport mutierte: Das Reiten und die Pferdehaltung waren nicht mehr nur finanzstarken Pferdefans vorbehalten. Die importierten Islandpferde wurden auf Weiden mit Unterständen gehalten.
In Reitvereinen und Pensionsbetrieben dagegen war der Standard die Haltung in Einzelboxen, stundenweiser Auslauf war eher die Ausnahme als die Regel. Dazu gab es dann noch einen „Stehtag“, an dem die Pferde ihre Box nicht verließen. Am Tag danach war die Stimmung in der Halle immer hoch explosiv – woran sich heute noch so mancher Reitschüler schmerzhaft erinnern wird. Sowohl damals als auch vereinzelt heute noch gibt es „Ausbilder“, die Pferde ganz bewusst isolieren und ihnen keinen Freilauf gewähren: Das ist eine besonders perfide Art, um Pferde einerseits zu brechen und andererseits in der Ausbildung „gefügiger“ zu machen: Wenn die einzige Abwechslung des Pferdes die tägliche Stunde Arbeit in der Halle ist, schließt es sich seinem Reiter eher an. Dass das keine Ausbildungsmethode, sondern ein Fall für den Tierschutz ist, versteht sich von selbst. In einem im Jahr 2017 (!) erschienen Buch verkündet ein „Reitmeister“, dass seine Pferde keinen Freilauf erhielten, schließlich würden sie anspruchsvoll gearbeitet und das genüge. Solange sich solche Druckwerke noch verkaufen, liegt in deutschen Ställen noch einiges im Argen.
Auslauf in der Gruppe: Anspruch und Wirklichkeit
Der Gedanke, dass Gruppenhaltung samt Auslauf gut für die Pferde ist, erreicht erst Anfang der 1990er-Jahre die Köpfe der Pferdebesitzer: Zu der Zeit leben 7% aller Pferde sogar noch in Ständern, in Bayern wurde diese Anbindehaltung tatsächlich erst im Jahr 2014 untersagt. 77% der Pferde wurden in Einzelboxen gehalten. Nur 8% der Pferde lebten in Lauf- oder Offenställen.
Mitte der 1990er-Jahre werden vom Bundeslandwirtschaftsministerium erstmals Leitlinien zur Pferdehaltung erarbeitet, im Jahr 2009 werden sie noch einmal grundlegend überarbeitet und gelten bis heute. Hier kann jeder interessierte Pferdebesitzer schwarz auf weiß nachlesen, was als optimale Pferdehaltung gilt: Die Haltung in der Gruppe mit entsprechendem Auslauf. Elf Jahre ist dieses Papier jetzt alt und was hat sich seither getan? Pferdewissenschaftler der Universität Göttingen unternahmen im Jahr 2016 eine Strukturdatenerfassung pferdehaltender Betriebe in Deutschland. 1.480 Ställe wurden untersucht, in denen insgesamt 27.996 Pferde untergebracht waren. 59% der Pferdehaltungen waren privat geführt, 30% zählten zu den landwirtschaftlichen Betrieben und den geringsten Anteil hatten Vereinsställe mit 6%. Die gute Nachricht: 54% der Pferde in privater Haltung leben in Offenställen. Dass Pferde keinen zusätzlichen Auslauf erhalten, betrifft hier „nur“ 9% der Pferde. In allen anderen Betrieben überwiegt ganz deutlich die Boxenhaltung (Landwirtschaft: 77% – davon 11% ohne zusätzlichen Auslauf; Gewerbe: 82% – davon 13% ohne zusätzlichen Auslauf; Vereine: 80% – davon 12% ohne zusätzlichen Auslauf).
Wer sein Pferd nicht in Eigenregie halten kann, hat selten eine echte Wahl, wo und wie er sein Pferd einstellt. Gerade im städtischen Umfeld gibt es noch viele ältere Boxenställe und nicht jeder Pferdebesitzer kann eine stundenlange Anfahrt zum Vierbeiner in Kauf nehmen. Das Mindeste, was ein Besitzer aber machen kann und muss, ist dafür zu sorgen, dass sein Pferd genügend Bewegung hat. Das gilt übrigens auch für Besitzer, deren Pferd im Offenstall lebt, denn je nach (schlechtem) Management bewegen sich auch hier die Pferde viel zu wenig.
Unsäglicher Trend: naturnahe Haltung
Der Naturschutzbund Deutschland (NABU) hat zwar angeblich ein „Beweidungskonzept“ mit Konik-Pferden umsetzen wollen, tatsächlich sind in diesem Jahr sieben der Koniks in Speicherkoog elendiglich verhungert. Nur wenige Monate später stirbt mindestens ein weiteres Pferd in NABU-Hand: diesmal im Bingenheimer Ried, weil robuste Ponys auf Hochleistungsweiden grasen durften. Elf der Ponys erkrankten, eines musste wegen Rehe eingeschläfert werden. Wer Verantwortung für ein Tier hat, muss diese auch ausfüllen. Es ist kein Konzept, Pferde einfach sich selbst zu überlassen: das sollte doch auch in den letzten Kopf noch reingehen!
Dasselbe gilt übrigens für die Idee, dass Pferde angeblich nur das fressen, was ihnen guttut und man ihnen deshalb alles im Überfluss vorsetzen dürfe. Nein, das habe ich mir nicht ausgedacht, solche „Gruppen“ gibt es tatsächlich. Das ist nicht naturnah, wie propagiert wird, sondern selten dämlich. Es kann in einem dicht besiedelten Land wie Deutschland keine „naturnahe Haltung“ von Pferden geben. Pferdehaltung ist immer ein Kompromiss. Und wir sind in der Verantwortung, das Beste daraus zu machen – für die Pferde! (cls)
Die im Text erwähnte Studie der Universität Göttingen können Sie hier
herunterladen:
https://www.uni-goettingen.de/de/document/download/430d074d1886b8e9e7210cfee0c7fd9c.pdf/Brosch%C3%BCre%20Strukturdaten%20-%20Final.pdf
Die Leitlinien zur Pferdehaltung finden Sie hier:
https://www.bmel.de/DE/themen/tiere/tierschutz/tierschutz-pferdehaltung.html