Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft 4/2018: „Achtsamkeit! Wenn das Pferd den Menschen spiegelt“ und ein Teil des Extras „Missbrauch“.
Die Journalistin Carola Schiller beschäftigt sich seit Jahren mit dem Thema „Pferdeschändungen“.
Für die Dressur-Studien hat sie den jüngsten Stand der Forschungen und die daraus zu ziehenden Schlussfolgerungen zusammengefasst.
Verletzte Pferde auf der Weide oder im Stall sind für Pferdefreunde immer ein Schock.
Kommt dann noch die Erkenntnis hinzu, dass das Tier sich die Wunden nicht selbst zugezogen
hat, ist das Entsetzen groß. „Wer macht so was?“, ist die meistgestellte Frage, die
auch Tierärzte und Polizisten zu hören bekommen. Die Wahrheit ist nicht immer leicht zu
ertragen, denn in der Mehrheit der Fälle ist der Täter näher, als es zunächst scheint.
Forschungsarbeiten aus den USA liefern alarmierende Erkenntnisse
Gibt es im Stall sowieso schon Unstimmigkeiten wie Neid und Missgunst, kann ein durch
Fremdverschulden verletztes Pferd die Stimmung endgültig vergiften – besonders wenn
der Verdacht aufkommt, dass der Täter kein Unbekannter ist. Die Folge können unerträgliche
Auseinandersetzungen sein, bei denen ein Mitglied aus der Gemeinschaft verdächtigt
wird, ohne dass sich die Tat beweisen lässt. Dennoch ist es wichtig zu verstehen, dass
der vertraute Täter eher die Regel ist als die Ausnahme.
Professorin (PA) Alexandra Stupperich, promovierte Biologin und engagierte Wissenschaftlerin
an der Polizeiakademie Niedersachsen, konnte im Rahmen ihrer Forschungen
aus einer repräsentativen Umfrage unter 261 straffällig gewordenen jungen Männern
ableiten, dass Tierquälerei in Beziehungsstreitigkeiten eine große Rolle spielt. Die Untersuchungen
zeigten, dass bei jedem zweiten misshandelten Tier der Täter bekannt war.
Der große Unbekannte ist die Ausnahme
Bei Straftaten ermittelt die Polizei zunächst im Umfeld des Opfers, wenn es keine deutlichen
Hinweise gibt, dass es sich um einen Unbekannten handelt. Das gilt auch bei Tierquälerei.
Motivationen für die scheußlichen Taten gibt es viele. Dazu gehören:
· Kränkungen · Konkurrenzdenken · Neid· Rache
Der Ex-Partner, der das Pferd verletzt und damit die Besitzerin besonders treffen will, ist
keine Erfindung von Krimiautoren. Der Täter muss nicht zwingend ein Mann sein, auch
Frauen verletzen Tiere aus Wut, Hass, Eifersucht und gekränkter Eitelkeit. Eine solche
Eskalation hat ihre Ursache in der Unfähigkeit, unschöne Entwicklungen auszuhalten.
Steckt die Beziehung in einer Krise oder neigt sich dem Ende zu, kann das zu einer Eskalation
führen und wie die Untersuchungen zeigen, steigt damit das Risiko für den, der
die Zurückweisung ausspricht, aber auch für seine oder ihre Tiere. Pferdehalter wollen
und sollen sich im Stall sicher fühlen. Das gilt auch für ihre Pferde. Kommt es in diesem
geschützten Umfeld zu einer Straftat, kann das traumatisierend für alle Beteiligten sein.
Hinweise auf einen Täter im sozialen Umfeld
Niemand sollte Verdächtigungen aussprechen, die sich nicht untermauern lassen, auch
wenn die Aufregung und das Entsetzen groß sind. Der erste Ansprechpartner ist der Tierarzt.
Erfahrene Tierärzte können für gewöhnlich einschätzen, ob die Verletzung oder die
Erkrankung des Pferdes auf Fremdverschulden zurückzuführen ist. Ist das der Fall, ist der
nächste Schritt, Anzeige bei der Polizei zu erstatten.
Folgende Hinweise können auf einen Täter im eigenen Umfeld hindeuten:
· Ein Zugriff von außen ist kaum möglich
· Eine Schwäche des Pferdes wurde ausgenutzt (Futterempfindlichkeit)
· Die Tat ereignete sich vor einem wichtigen Ereignis (Turnier)
· Es sind Auseinandersetzungen vorangegangen
Bei der Art des Übergriffs ist alles möglich. Was mit einem verschwundenen Halfter beginnt
und sich mit dem versteckten Spindschlüssel zuspitzt, kann sich im Zuge der Eskalation
verschärfen. Es werden Türen im unpassenden Moment aufgerissen, sodass das
Pferd fast sicher scheut, Verschlüsse an Boxentüren manipuliert, sodass sich das Pferd
befreit, oder Elektrozäune ausgehängt, damit das Pferd auf die Straße läuft.
Nachbarschaftsstreitigkeiten als Auslöser
Ärger über Pferdeäpfel auf der Straße, über wachsende Misthaufen in der Nähe von
Wohnhäusern, Wut über Reiter, die auf unerlaubten Wegen unterwegs sind und dort
Schäden verursachen, all das kann ebenfalls zu unschönen Eskalationen führen. Als Verstärker
wirkt hier sicher die Tendenz, mit völlig falscher Vorstellung von der Stadt aufs
Land zu ziehen. Möglicherweise werden die Menschen auch insgesamt dünnhäutiger.
Während Unstimmigkeiten früher am Samstagabend am Tresen oder beim gemeinsamen
Grillen gelöst wurden, macht sich seit einiger Zeit eine neue Form von Egoismus breit, die
jede Toleranz vermissen lässt. Natürlich rechtfertigt auch „unreiterliches“ Verhalten keine
Misshandlung oder Gefährdung von Pferden. Dennoch sollten sich Pferdehalter bewusst
machen, dass sie ihre Tiere kaum rund um die Uhr bewachen können. Umgekehrt ist der
Nachbar, der erkennt, dass sich die Pferdehalter um ein nettes Miteinander bemühen, der
beste Schutz vor einem Pferdeschänder, Feuerteufel oder Einbrecher, der die Gunst der
Stunde bei Abwesenheit der Pferdebesitzer nutzt. Wenn es sich beim Nachbarn allerdings
um einen Charakter handelt, der jede Gelegenheit zur Konfrontation nutzt, ist eine friedliche
Beilegung der Auseinandersetzung schwierig bis unmöglich.
Erste Anzeichen für eine Eskalation können Beschimpfungen und das Aufhetzen Unbeteiligter
sein. Diese Querulanten fühlen sich als Opfer und sehen sich mitunter legitimiert,
das Recht in die eigene Hand zu nehmen. Das macht sie gefährlich, denn dabei
kann ihnen schlimmstenfalls jedes Maß für ihr Verhalten verloren gehen. Schließlich
kommen Querulanten in der Nachbarschaft immer wieder in Kontakt mit dem Auslöser
für ihren Ärger und steigern sich in ihre Wut hinein.
Wut und Enttäuschung
Die Kriminalistik nennt sie „sensation seaker“. Aufgeputscht von Alkohol oder Drogen
sind sie auf dem Weg von oder zur Party und nehmen dabei die vertrauten Wege durch
die Landschaft, und damit auch vorbei an Ställen. Kommt dann noch Frust dazu, wie
durch einen Rausschmiss als Folge unerwünschten Verhaltens, streift das von Peter Fox
in seinem Song „Stadtaffe“ besungene „Rudel junger Hunde, die sauer sind“ durch die
Gassen. Pferde auf der Koppel können so zum Ventil werden. Wenn es richtig schiefläuft,
grast dort auch noch das Pferd der Ex-Freundin einer der jungen Männer. Auf ein:„Am
liebsten würde ich jetzt…“ folgt dann schnell ein „Das traust du dich nicht“.
Damit steigt die Wahrscheinlichkeit, dass der Täter Gewalt gegen das Pferd anwendet
oder Manipulationen am Zaun vornimmt. Sensation Seaker sind meist männlich und
etwa zwischen 16 und 23 Jahre alt. Sie sind enthemmt, wütend und heizen sich gegenseitig
auf. Das Hetzen oder Reiten von Pferden mit ungeeigneten Mitteln ist eine mögliche
Folge. Auch Verletzungen an den Gliedmaßen der Pferde bis hin zu Übergriffen mit
sexuellem Hintergrund sind möglich. Ziel ist, die Pferdehalterin zu schockieren und Rache
zu üben. Besteht dann auch noch tiefe Abneigung gegenüber dem Pferd, sind die
Folgen besonders schlimm.
Menschen und Pferde schützen
Wenn Wissenschaftler nachweisen konnten, dass bei jedem zweiten misshandelten Tier
der Täter bekannt war, sollte das nicht zu der Schlussfolgerung verleiten, dass es für die
Tiere keinen Schutz gibt. Der achtsame Umgang miteinander gehört unbedingt dazu.
Vor allem in Reitställen sollten persönliche Auseinandersetzungen, Neid und Missgunst
angesprochen werden. Hier sind die Vereinsvorstände besonders gefragt. In privat geführten
Ställen trägt eine gewisse Struktur dazu bei, dass Regeln entstehen, an die sich
alle zu halten haben. Diese Regeln bieten einen Rahmen für Verhaltensweisen, deren
Missachtung sanktioniert wird. Das birgt mehr Sicherheit. Regelmäßige Treffen helfen
außerdem, Auseinandersetzungen zu bereinigen. Mobbing ist zu unterbinden. Eine gewisse
Stressresistenz ist zu erwarten und sportlich faire Konkurrenz zulässig. Dennoch
dürfen Schwächere nicht an den Rand gedrängt oder verhöhnt werden. Hier sind vor
allem die Älteren gefragt, mit ihrer Lebenserfahrung auf jüngere Reiter und Reiterinnen
einzuwirken. Findet sich keine Lösung für eine Auseinandersetzung, welcher Art auch
immer, helfen Mediatoren. Als neutrale Person von außen kann ein Mediator den Kontrahenten
helfen, sich wieder anzunähern, bevor die Situation eskaliert. Die Streitenden
erarbeiten ihre Konfliktlösung selbst und sind angehalten, sich an getroffene Vereinbarungen
zu halten. Tierhalterinnen und Tierhalter, die ernsthaft fürchten, dass ihr Pferd in
Gefahr sein könnte, erhalten Hinweise zur Prävention bei der Polizei.
Pferd sichern, aber richtig
Folgende Tipps helfen, das Pferd zu schützen:
· Miteinsteller und Nachbarn um Wachsamkeit bitten
· Stall und Weide in unregelmäßigen Abständen kontrollieren
· Werkzeug nicht offen herumliegen lassen
· Weidezaungerät darf nicht frei zugänglich sein
· Keine Stricke und Halfter auf der Weide
· E-Zäune und Steckpfähle genügen bei Weidehaltung nicht
Schwachstellen sind zu sichern. Dazu gehören Türen und Fenster. In Offenställen ist das
eine schwer zu lösende Aufgabe. Hier helfen Alarmanlagen, Bewegungsmelder und Flutlicht.
Der Markt der Apps fürs Smartphone boomt inzwischen auch bei Sicherheitssystemen.
Im konkreten Fall kann sich die Anschaffung eines solchen Warnsystems lohnen.
Die Meldung folgt dann direkt auf das Mobiltelefon.
Vorbeugen – Polizei schützt Pferd und Halter
Ob Nachbar oder Ex-Partner, wenn Auseinandersetzungen ein Ausmaß annehmen, dass
sich einer von beiden bedroht und verfolgt fühlt, helfen Experten der Polizei. Die Stalkinghilfe
vermittelt Betroffenen konkrete Strategien, die Situation zu beenden. Die Polizei
stellt außerdem Kontakt zu weiteren Hilfsorganisationen her. Je nach Auslastung sind
die Beamten auch bereit, unregelmäßige Kontrollen durchzuführen. Die Polizeipräsenz
kann eine erhebliche warnende Wirkung für einen Täter aus dem Umfeld sein. Die absolute
Garantie gibt es nicht, dennoch kommen Täter aus dem Umfeld durchaus auch zur
Vernunft, wenn sie erkennen, dass ihr Verhalten beobachtet werden könnte.
Ansprechpartner für den Täter
Stop Stalking Berlin ist eine Einrichtung, die Menschen hilft, die sich aus ihrer Wut nicht
selbst befreien können und Hilfe in Anspruch nehmen wollen. Die Unterstützung ist in
persönlichen Gesprächen, aber auch online möglich.
Anzeigen oder nicht?
Die tatsächlichen Fallzahlen von verletzten Pferden in Deutschland sind unklar. Tierquälerei
wird in Deutschland unter den Umweltdelikten zusammengefasst. Zwar gibt es immer
wieder Einzelerhebungen, aber keine auf Dauer belastbaren Zahlen. Diese Einzelerhebungen
zeigen aber, dass Tierquälerei ein ernstes Problem ist, unter anderem auch,
weil sie als Indiz für eine gestörte Entwicklung und als Risiko für weitere Straftaten gewertet
werden muss. Stammt der Täter auch nur verdachtsweise aus dem eigenen Umfeld,
ist es für die betroffenen Pferdehalter sehr schwer, die Tat zur Anzeige zu bringen.
Sie sollten es dennoch machen, denn nur wenn die Meldungen bei der Polizei eingehen,
können die Taten verfolgt und aufgeklärt werden. Werden mehr Taten angezeigt, erhöht
sich damit langfristig die Chance, dass die Bundespolitik eine eigene Statistik für Tierquälerei
beschließt. Das wäre ein großer Schritt für eine bessere Prävention.
Mehr über Carola Schiller erfahren Sie unter www.carolaschiller.wordpress.com
Lesetipps:
Carola Schiller: „Hände weg von meinem Pferd“, 2016, Eigenverlag,
zu beziehen über www.propferd.org
Alexandra Stupperich: „So schütze ich mein Pferd“, Müller Rüschlikon, 2000
Alexandra Schedel-Stupperich: „Schwere Gewalttaten an Pferden“, FN-Verlag, 2002
Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft 4/2018: „Achtsamkeit! Wenn das Pferd den Menschen spiegelt“ und ein Teil des Extras „Missbrauch“.