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Kein Notfall, aber langfristige Folgen: Wenn die Eckstreben im Huf fehlen

Der Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft „Das Notfall-Heft: Erste Hilfe!“

 

Zwei kurze Schnitte und zack sind sie weg: die Eckstreben auf der Hufsohle. Immer häufiger begegnen Hufschmiedemeister Gustav Optenplatz Pferde mit weggeschnittenen Eckstreben. Das ist zwar erst einmal kein Notfall für das Pferd, kann sich aber langfristig zu einem entwickeln. Warum das so ist, beschreibt er in diesem flammenden Plädoyer dafür, die Eckstreben nicht wegzuschneiden.

Eines der ersten Dinge, die mir mein Vater eintrichterte, war die Rolle der Eckstreben: „Auf keinen Fall wegschneiden“, lautete die Maxime. Wir hatten früher viele Arbeits- und Fahrpferde in der Kundschaft und gerade die Kutscher achteten ganz genau darauf, dass sich kein Schmied an den Eckstreben übermäßig zu schaffen machte. Wer das versuchte, hatte mindestens einen Kunden weniger und eine Menge Ärger am Hals. Denn ohne oder mit zu stark beschnitten Eckstreben wird der ganze Pferdehuf geschwächt, der Hufmechanismus gestört und das ganze Innenleben des Hufs sackt ab! Oder, um es mit den schon im Jahr 1897 niedergeschriebenen Worten von Peter Spohr, Oberst a.D., zu sagen: „Es genügt dies schon, um anzudeuten, wie fehlerhaft es ist, die Eckstreben im Winkel, wo sie durch Umbiegung der Hornwand entstehen, zu durchschneiden, zu lüften, wie sich unwissende Beschlagschmiede auszudrücken pflegen.“

Diese alte Erkenntnis findet sich auch heute noch in den Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 4, in dem es um das „Grundwissen“ zur Haltung geht: „Die Hornwandeckstreben sind stark zu lassen.“

Das ist glasklar und unmissverständlich formuliert. Doch in der täglichen Praxis begegnen mir 90 Prozent der Pferde mit weggeschnittenen Eckstreben: Mehrheitlich bei beschlagenen Pferden, doch auch bei Barhufern scheint das in Mode zu sein. Ob ein Pferd korrekte Eckstreben hat oder nicht, lässt sich übrigens schon am stehenden Pferd erkennen, ohne dass Sie sich die Sohle ansehen: Der Hufknorpel bildet sich nicht gleichmäßig über den Kronsaumrand, sondern ist besonders im Bereich oberhalb der Zehe weggedrückt, genauer: abgesackt. Sie spüren dort eine leichte Kuhle – das ist ein Hinweis auf das abgesackte Huf-Innenleben.
Ohne die stützende Funktion der Eckstreben kann der Huf keine gewölbte Sohlenfläche entwickeln. In der Folge senkt sich das Hufbein ab, mit ihm senkt sich der Hufknorpel, der normalerweise zu einem Drittel als Wulst über dem Kronsaumrand fühlbar ist. Der abgesackte Hufknorpel verknöchert mit der Zeit und das Pferd entwickelt eine Hufknorpelverknöcherung. Doch die Folgen fehlender Eckstreben gehen noch weiter: Senkt sich das Hufbein ab, gerät die tiefe Beugesehne unter eine viel zu starke Spannung: Auch hier können entzündliche Prozesse, verbunden mit schweren Lahmheiten, die Folge sein.

Dennoch werden Eckstreben immer und immer wieder weggeschnitten. Die Begründungen der Kollegen, warum sie sich an den Eckstreben zu schaffen gemacht haben, sind in der Regel abenteuerlich: So lasse sich einfacher beschlagen. Der Kunde wünsche das, damit er die Hufe besser auskratzen könne. Das sehe sauberer aus. Oder: Das würde die Lehre XY zur Barhufbearbeitung eben so vorschreiben.

Keine Lehre – und sei sie noch so wohltönend – kann die Gesetze der Physik und Statik ignorieren, ohne dem Pferd zu schaden! Also: Wenn Sie Ihr Pferd lieben, lassen sie ihm seine Eckstreben.

Rot markiert: die Eckstreben. Testen Sie doch einmal, ob diese bei Ihrem Pferd sicht- und fühlbar sind. Grafik: DS

Zitate alter Meister zu den Eckstreben:

„Ebenso verwerflich (…) ist das Niederschneiden der Eckstreben. Diese müssen ebenso wie der Tragrand des Hufes, nur horizontal gehalten werden, damit sie mit jenem und dem Strahl den Erdboden berühren. Schneidet man sie nieder oder schwächt man sie noch gar durch Erweiterung der Furche zwischen ihnen und dem Strahl, so werden sie gegen den letzteren zusammengepresst, dieser mit der Zeit verengt.” Peter Spohr, Oberst a.D. in „Die Bein- und Hufleiden des Pferdes“, 1897.

Zitat aus „Der Illustrierte Haustierarzt“, 1867: „Die Eckstreben dürfen nur dann beschnitten werden, wenn sie den Tragrand der Wand überragen und in diesem Fall darf nur so viel entfernt werden, bis sie in gleicher Höhe mit den Trachten und Eckwänden stehen.“

Für den Fall, dass die Eckstreben zu stark beschnitten werden, beschreibt Graf Wrangel im Jahr 1910 die Folgen: „(…) so wird dem ganzen Hinterteil des Hufes seine
Festigkeit geraubt, die Trachten ziehen sich, zumal wenn dabei die Sohle und der Strahl tüchtig ausgewirkt worden, nach einwärts und der Bildung von Steingallen und Zwanghufen ist auf die wirksamste Art Vorschub geleistet.“ (cls)

 

Mehr über Gustav Optenplatz erfahren Sie unter https://www.pferde-pflegemittel.de/