Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft „Am Boden: Verstehe Dein Pferd!“
Wer mit seinem Pferd am Boden arbeitet, kommt nicht drum herum, auch die eigene Beweglichkeit zu trainieren. Wie das funktionieren kann, beschreibt Eckart Meyners.
Bei der Arbeit am Boden werden die Grundlagen für die Verständigung zwischen Mensch und Pferd gelegt. Das hier entstandene Vertrauen erleichtert später die Arbeit auf dem Pferd, weil beide Partner ein gemeinsames Kommunikationssystem entwickeln können, auf welchem das reittechnische System aufbaut.
Ziel des Menschen muss sein, eine positive entspannte Körpersprache zu demonstrieren, um keine Situationen entstehen zu lassen, die beim Pferd Nervosität und Angst hervorrufen. Pferde sind Meister im Lesen der menschlichen Körpersprache. Wer beispielsweise bei der Arbeit an der Hand beim Rückwärtslaufen ins Stolpern gerät, ist aus Pferdesicht nicht gerade eine kompetente Führungspersönlichkeit.
Allgemeine Vorbereitung des Reiters
Der Mensch muss bei der Arbeit am Boden also seine „ganze Person“ einbringen, um die angestrebte Harmonie mit dem Pferd bereits vom Boden aus optimal einzustimmen. Und dazu gehört: optimales Aufwärmen, denn der Mensch ist nur dann imstande, beim Pferd die aufgezeigten Qualitäten zu entwickeln.
Dabei geht es um die Erhöhung der Körpertemperatur, damit Muskulatur und Bänder-, Sehnen- und Gelenkapparat geschmeidig werden. Erst bei einer Temperatur von 39 bis 40 Grad sind optimale Bedingungen gegeben, damit die Bewegungen des Reiters fließend und ohne Bewegungsbrüche ablaufen. Sie sind Voraussetzung für das optimale Anpassen und Einwirken des Menschen beim Führen-Halten und Stillstehen. Das Pferd würde auf jede kleine unstimmige Bewegungsabfolge des führenden Reiters disharmonisch antworten, auch wenn beim Menschen diese Verspannungen äußerlich kaum erkennbar sind. Pferde spüren diese inneren Disharmonien des Menschen und reagieren negativ darauf. Aus diesem Grund sollte sich jeder Reiter vor der Bodenarbeit mit dem Pferd selbst bis zu 20 Minuten systematisch bewegen, weil erst dann die gesamten angesprochenen Systeme (Muskeln, Bänder, Sehnen, etc.) in ihrer Vorbereitung fein eingestellt sind.
Übungsvorschläge
– Laufgymnastik mit Laufformen wie Skippings (Kniehebelauf) oder Anfersen (Absätze bis zum Gesäß führen);
– Laufen in alle Richtungen (vorwärts, rückwärts, zur Seite, schräg nach vorne), mit dem Ziel, möglich unterschiedliche Muskelgruppen (und Gehirnfunktionen) differenziert zu beanspruchen;
– Hüpfen auf einem Bein/auf beiden Beinen vorwärts, rückwärts, seitwärts;
– Sprunglauf (von links auf rechts springen), dabei die Schritte über die normale Länge ziehen;
– Hopserlauf vorwärts/rückwärts, mit Verwringen der Schulterachse gegen die Beckenachse;
– Fußexperimente (auf dem Ballen, dem Absatz, der Außenkante/der Innenkante des Fußes gehen);
– Rumpfexperimente im Gehen und Laufen (gerader/gebeugter Oberkörper, Oberkörper in Vorlage);
– Hüpf- und Sprungübungen am Ort, Seilsprünge am Ort und mit Ortswechsel;
– Laufen in Schlangenlinien.
In diesem Angebot sind vielseitige und variable Bewegungen aufgeführt, die nicht nur die vielfältigen Körperfunktionen, sondern ebenfalls die unterschiedlichen Gehirnbereiche anregen, damit der Reiter seine Aktions- und Reaktionsfähigkeiten, die beim Bewegen in Harmonie mit dem Pferd gefragt sind, optimal vorbereitet. Der Mensch darf dabei nicht mit Kraft gegen das Pferd arbeiten, sondern muss Widerstände früh wahrnehmen und geschickt in die gewünschten Bahnen lenken.
Gerade beim Vorwärts- und Rückwärtsführen können Bewegungsprobleme entstehen, weil der Mensch im Bewegen vorwärts Cross-Koordinierer ist, rückwärts hingegen jedoch Passgänger. Beim Vorwärtsbewegen geht der rechte Arm nach vorn, wenn das linke Bein vorschwingt. Beim Rückwärtsgehen würden der seitige Arm und das seitige Bein gleichzeitig zurücksetzen.
Die Übergänge vorwärts/rückwärts können zu unkoordinierten Bewegungen des Menschen führen, die sich negativ auf das Pferd auswirken. Je öfter Bewegungsaufgaben vorwärts/rückwärts angesprochen werden, desto flexibler agiert das Gehirn und hält die harmonischen Bewegungsqualitäten beim Reiter aufrecht. Weiterhin ist dabei wichtig, dass nicht von Übung zu Übung identische Muskeln belastet werden, um nicht bereits in dieser Phase der Ausbildung Ermüdungserscheinungen (Konditionsprobleme) beim Reiter entstehen zu lassen, die sich negativ auf die Ausbildung des Pferdes übertragen. Es geht dabei nicht ausschließlich um physische Prozesse, sondern die koordinativen Fähigkeiten sind ebenfalls einzubeziehen.
Vorbereitung von koordinativen Fähigkeiten
Unter Koordination versteht sich das geordnete Zusammenspiel möglichst aller Muskelgruppen. Dabei gibt es verschiedene koordinative Fähigkeiten. Optische Orientierungsfähigkeit und gefühlsmäßige Unterscheidungsfähigkeit sind Voraussetzung für das Gleichgewicht als zentrale koordinative Fähigkeit. Reaktions- und Rhythmusfähigkeit sind die Konsequenz aus der Gleichgewichtsfähigkeit.
Der Reiter muss sich im Raum mit dem Pferd an der Hand beim Gehen und Laufen sicher in alle Richtungen bewegen können. Je nach Situation muss er seine Dynamik (auch die des Pferdes) variieren (gefühlsmäßige Unterscheidungsfähigkeit), um die gemeinsamen Bewegungsaufgaben harmonisch aussehen zu lassen. Dann kann davon gesprochen werden, dass er unterschiedliche Gleichgewichtsfähigkeiten beherrscht (Standgleichgewicht, Drehgleichgewicht, Balanciergleichgewicht, etc.).
Ist der Reiter sicher in unterschiedlichen Gleichgewichtssituationen, sind seine Bewegungen rhythmisch. Er kann in fast jeder Situation optimal reagieren, ohne dass größere Störungen entstehen.
In vielen der bisherigen Übungsvorschläge sind unterschiedliche koordinative Herausforderungen bereits enthalten, wobei unter anderem das Gleichgewicht durch weitere Aufgaben noch gezielt ausgebildet werden sollen.
Übungsvorschläge
– Überkreuzbewegungen zur Schulung des Gehirns: Diese Übung wird mit dem entgegengesetzten Drehmoment vollzogen. Der Reiter soll abwechselnd einen Arm und das entgegengesetzte Bein bewegen. Die Bewegungsabfolgen sollen vor, zurück und seitlich ausgeführt werden. Die Augen gehen in alle Richtungen mit der Bewegung mit. Die Hand soll mehrmals zum gegenüberliegenden Knie geführt werden, um die Körpermitte zu überqueren. Ebenso soll sie hinter dem Körper den entgegengesetzten Fuß berühren (Integration rechte mit der linken Gehirnhälfte).
– Schlangenlauf: Zwei Reiter laufen nebeneinander und halten einen Anbindestrick. Ein Reiter stellt das Pferd dar, der andere den führenden Reiter. Der Reiter schlägt unterschiedliche Tempi und Richtungen ein, während das „Pferd“ ihm folgen muss.
– Gehen im Raum ohne Pferd, plötzliches Stehenbleiben auf einem Bein;
– Dasselbe im Laufen und Halten auf einem Bein;
– Vorwärtsgehen, Halten auf einem Bein, Rückwärtsgehen;
– Drehbewegungen um die Längsachse auf der Stelle;
– Drehbewegungen um die Längsachse auf der Stelle mit Wechseln rechts herum/links herum (auf ein akustisches Zeichen);
– Drehbewegungen um die Längsachse in langsamer Laufbewegung vorwärts/rückwärts (Wechsel auf ein Zeichen von außen).
Vorschläge zum Stressausgleich
Wer gestresst und genervt von der Arbeit kommt und mit seinem Pferd arbeitet, neigt vielleicht zu Überreaktionen. Damit solche Situationen gar nicht erst entstehen, gibt es einfache Techniken, damit der Mensch auf dem Boden bleibt und nicht in die Luft geht.
– Mit einem Lächeln kann sich der Mensch positiv unterstützen, weil dabei Muskelschlingen vom Gesicht über den Hals-Nackenbereich und das Becken bis zu den Füßen aktiviert werden. Ein lächelnder Mensch wirkt in seinen Bewegungen auch harmonischer.
– Der Zunge kommt wegen des möglichen Stressausgleichs elementare Bedeutung beim gefühlvollen Führen zu. Der Mensch sollte die Zungenspitze ungefähr einen halben Zentimeter weich hinter den oberen Schneidezähnen an den Gaumen drücken, um die Körperenergie intakt zu halten und zu zentrieren, also durch den gesamten Körper fließen zu lassen.
Die Zunge sorgt also elementar für die Unterstützung des Gleichgewichts und kann als Grundlage neben dem Reiten auch bereits bei der Bodenarbeit eingesetzt werden.
– Das Summen ist ebenfalls Grundlage für körpereigene Schwingungen, die positiv durch den Körper fließen. In Stresssituationen sind sie zu hoch, der Mensch zittert und verliert sein Gleichgewicht. Diese negativen Bewegungen übertragen sich störend auf das Pferd. Durch Summen werden erhöhte Schwingungen reduziert beziehungsweise zu niedrige erhöht. Außerdem werden im Unterbewusstsein gespeicherte Bewegungsmuster neu aktiviert. Das Summen ist also ein körpereigenes Schutz- und Aktivierungsmuster und stellt harmonische Bewegungsabläufe wieder her.
Eckart Meyners beschäftigt sich seit über 40 Jahren mit dem Reitersitz und ist im Redaktionsbeirat der Dressur-Studien. Mehr über ihn erfahren Sie unter www.bewegungstrainer-em.org/index.php/eckart-meyners/
Lesetipps:
Deutsche Reiterliche Vereinigung (Hrsg.): „Richtlinien für Reiten und Fahren Band 1, Grundausbildung für Reiter und Pferd“, FN-Verlag, 2018
Eckart Meyners: „Aufwärm- und Übungsprogramm für Reiter“, Kosmos, 2015
Eckart Meyners: „Sitzen lernen und lehren – Harmonie von Reiter und Pferd I“, Dressur-Studien Verlag, 2017
Eckart Meyners: „Sitzen lernen und lehren – Harmonie von Reiter und Pferd II“, Dressur-Studien Verlag, 2018