Das Geschäft mit dem Tierschutz
„Wenn Mitleid das Motiv ist, geht es meistens schief.“ Dass Nico Welp einen solchen Satz sagt, überrascht auf den ersten Blick. Denn schließlich ist ihre tägliche Arbeit von Mitleid gegenüber den Pferden geprägt, die durch Menschen ins Abseits geraten sind. Die Vorsitzende des Vereins „Pferdehilfe Pro Equine e.V.“ hat jede Woche rund 20 Sorgenfälle auf dem Tisch und kann seit Jahrzehnten ein Lied davon singen, welche Schwierigkeiten auf vermeintliche „Retter“ zukommen können, die spontan ein Pferd „aus dem Tierschutz“ übernehmen.
„Wir retten immer häufiger Pferde vor ihren Rettern“, sagt Nico Welp. Die Zahl der Fälle, in denen einzelne Pferdehalter mit ihren Tieren finanziell, vor allem aber auch fachlich überfordert seien, steige beständig. Und immer wieder komme es dabei auch vor, dass die betroffenen Pferde nicht zum ersten Mal aus einer ungeeigneten Haltung befreit würden: „Oft wurde das Pferd spontan angeschafft, weil der neue Besitzer dachte, er könne es so aus einer anderen schlechten Haltung oder von Vernachlässigung befreien. Plötzlich ist er dann selbst überfordert und ein schlechter Halter.“
Ein wichtiger Grund für solche Entwicklungen sei, dass sich „Pferderetter“ angesichts eines vermeintlich günstigen Tierschutzpferdes falsche Vorstellungen von den tatsächlichen Kosten der Pferdehaltung machten. „Denn die Anschaffung ist ja bekanntlich nur der Startpunkt für erhebliche Kosten, die seit Jahren auch beständig steigen und bei vielen Haltern keine Reserven mehr für Notfälle zulassen“, sagt Nico Welp. Vor zwei Jahrzehnten sei es noch möglich gewesen, Pferde für vergleichsweise geringe Preise beim „Bauern um die Ecke“ einzustellen, „aber heute kostet schon ein Einstellplatz ohne großen Zusatzservice jeden Monat erhebliche Beträge“.
Dass sich Menschen in vielen Fällen der Realität verschließen, findet Nico Welp nicht verwunderlich: „Alle tierlieben Menschen sind anfällig für solche emotionalen Entscheidungen, denn wir alle können die Bilder leidender oder vernachlässigter Tiere schlecht ertragen.“ Durch soziale Medien verbreiten sich die Geschichten und Bilder solcher Notfälle schnell und meistens ohne sehr detaillierte Informationen – die spontane Fehlentscheidung wird hilfsbereiten Pferdeliebhabern also leicht gemacht, wenn die Vermittlung des Pferdes durch eine Organisation erfolgt, bei der nur oberflächlich geprüft wird, ob die Interessenten tatsächlich in der Lage sind, ein Pferd tiergerecht zu halten und zu finanzieren. „Aber Tierschutz ist nicht nur eine Frage von Mitleid“, warnt Nico Welp, „es geht auch um Respekt vor dem Tier, das nicht von einer Notlage gleich in die nächste rutschen soll.“
Dabei übersieht Nico Welp keineswegs, dass eine übereilte und schlecht durchdachte „Pferderettung“ nicht nur das Tier erneut in Gefahr bringt: „Wenn ein Mensch mit einem neuen Pferd, dessen Herkunft und Geschichte er im Zweifel überhaupt nicht kennt, überfordert ist, gefährdet das auch ihn selbst.“ Deshalb hält sie es für unerlässlich, im Interesse der hilfsbereiten Interessenten sorgfältig zu prüfen, ob Pferd und neuer Halter wirklich gut zueinander passen. Eine aufwendige Arbeit, die nur dadurch möglich wird, dass Nico Welp und ihre Mitstreiter als Erstes die von ihnen betreuten Pferde intensiv unter die Lupe nehmen.
„Wir bekommen immer mehr Pferde mit erheblichen physischen und psychischen Schäden, die müssen erst mal durch eine echte Reha, bis man sie tierlieben, aber oft noch recht unerfahrenen Menschen an die Hand geben kann“, sagt Nico Welp. Dabei sei wichtig, auch den generellen Charakter eines Pferdes richtig einzuschätzen. „Viele Menschen verlieben sich einfach optisch in ein Pferd oder in eine Rasse, ohne wirklich einschätzen zu können, welche Konsequenzen die Grundeigenschaften eines solchen Tieres in der Praxis haben. Deshalb finden wir immer wieder Konstellationen vor, bei denen von Beginn an klar war, dass das nie und nimmer ordentlich funktionieren wird – einfach weil da ein Mensch und ein Pferd zusammengekommen sind, die sich ungünstig statt gut ergänzen und deshalb auch miteinander nicht glücklich werden können“, berichtet Nico Welp aus ihrer täglichen Praxis.
Ein immer wiederkehrendes Problem seien ausgediente Rennpferde, die von nicht ausreichend erfahrenen Pferdefreunden als Freizeitpferde übernommen werden. „Jeden Herbst werden auch auf der Rennbahn die Tiere aussortiert, die die hochgesteckten Erwartungen nicht erfüllt haben und die man nicht einen weiteren Winter durchfüttern möchte. Oft sind es Tiere, die nach einer zu kurzen Aufzucht und einer viel zu kurzen Kindheit im Rennbahnbetrieb verbraucht wurden und in keiner Weise auf ein Leben als Freizeitpferd oder gar Rentner vorbereitet sind“, erklärt Nico Welp. „Und diese Pferde treffen dann auf Menschen, die eine oft idealisierende Vorstellung von einem günstigen Rassepferd haben, dem sie nun ein neues Leben schenken möchten.“
Nicht nur, dass solche Pferde oft wegen bereits chronischer Erkrankungen oft erhebliche finanzielle Kosten für die neuen Eigentümer nach sich ziehen – auch der Aufwand, die Pferde durch Zuwendung, Erziehung und Training für ein Leben in völlig veränderten Umständen fit zu machen, wird oft unterschätzt. „Es braucht sehr viel Fachwissen auf vielen Gebieten, um einer solchen Herausforderung gewachsen zu sein. Das kann ein Anfänger mit seinem ersten Pferd selten allein leisten“, ist sich Nico Welp sicher. Deshalb komme es auch vor, dass sie Neu-Besitzer bestimmter Pferde nicht nur im Vorfeld intensiv auf Eignung prüft, sondern auch nach der Übernahme des Pferdes weiterhin intensiv betreut und begleitet. „Bei manchen Übernehmern hält der Kontakt viele Jahre und wir können beobachten, wie Mensch und Pferd zusammenwachsen“, erzählt die Tierschützerin.
Wer von Nico Welp ein Pferd anvertraut bekommen möchte, muss kritische Fragen zu seinen Möglichkeiten, ein Pferd unterzubringen, zu pflegen und dauerhaft zu versorgen ertragen. „Daran geht kein Weg vorbei“, sagt Nico Welp, „denn nichts ist schlimmer für ein Pferd, als wenn es zum Wanderpokal wird, nur weil wir nicht ordentlich darüber nachgedacht haben, wo es hinpassen könnte.
Andererseits verlangt sich Nico Welp auch selbst einiges ab: Wer seriös Tierschutzpferde in eine gute neue Haltung abgeben wolle, müsse sich selbst transparent zeigen und mit offenen Karten spielen, fordert die Vorsitzende der Pferdehilfe Pro Equine. Das beginne bereits dabei, dass der vermittelnde Verein eine pferdegerechte Haltung und fachgerechte Betreuung seiner Pferde selbst vorleben müsse. „Wer einen Pferdeschutzhof betreibt, sollte die dafür erforderlichen Genehmigungen vorweisen können und durch staatliche Kontrollen als gemeinnützig anerkannt sein“, sagt Nico Welp. Es sei unverzichtbar, dass die zur Vermittlung stehenden Pferde von jedem Interessenten angesehen und auf Wunsch auch durch einen eigenen Tierarzt untersucht werden können. Wenn ihnen der Tierschutzverein keine schriftliche Dokumentation vorlegen kann, was bislang mit dem Pferd geschehen ist und wie es bei Erkrankungen behandelt wurde, sollten Sie generell vorsichtig sein“, warnt Nico Welp. Kein seriöser Verein gebe Pferde ohne vollständige Papiere oder eine individuelle Kennzeichnung ab.
Besondere Vorsicht sei angebracht, so Nico Welp, wenn in sozialen Netzwerken angebliche „Notfälle“ annonciert würden: „Die Masche mit der Ankündigung, das Pferd müsse jetzt sofort gerettet werden, sonst gehe es in wenigen Stunden zum Metzger, funktioniert leider immer wieder. Dabei wäre es ja gerade das Kennzeichen einer seriösen Organisation, dass es in einer solchen Situation das Pferd nicht einfach ungeprüft an den Erstbesten durchreicht, sondern es aus der Notlage rettet und dann in Ruhe einen neuen Platz für das Tier sucht.“
Insbesondere im Rahmen der „organisierten Fohlenrettung“ seien viele der neuen Pferdebesitzer nicht ausreichend darauf vorbereitet, was für ein Fohlen sie da bekommen, meint Nico Welp: „Das sind ja Tiere, die in der Regel nicht die geringste Grundausbildung haben, die sind nicht einmal halfterführig und scheu, oft gerade erst von der Mutterstute getrennt. Wenn ein solches Tier auf einen neuen Besitzer trifft, der noch nie ein Fohlen aufgezogen hat, entwickelt sich schnell ein Drama, das die gutmeinenden Menschen dann nicht mehr in den Griff bekommen.“
Wenn dann die Realität mit dem eigenen Anspruch der Menschen kollidiere, nun gerade ein solches Tier zu „retten“, sei häufig viel Überzeugungsarbeit notwendig. „Aber das nehmen wir schon deshalb ernst, weil diese Menschen ja nicht nur die Zukunft des Pferdes gefährden, sondern ganz banal auch sich selbst – nicht händelbare Pferde sind potenziell gefährlich, wenn man nicht gelernt hat, Grunderziehung und Haltung artgerecht zu gewährleisten“, warnt Nico Welp. Dabei stellt sie aber auch fest, dass bei tierschutzbewegten Menschen zwar manchmal zu viel Mitleid im Spiel sei, gleichzeitig sei aber auch die Bereitschaft zum Lernen größer: „Die Leute wollen den Tieren ja helfen, deshalb hören sie in den meisten Fällen schon aufmerksam zu, wenn ihnen erklärt wird, aus welchen Gründen ein solches Tier vielleicht anders behandelt werden muss als ein Tier mit einer vorbildlichen Aufzucht und Ausbildung.“
Die umfangreiche Beratung und Hilfe von in Not geratenen Pferdebesitzern erbringt die Pferdehilfe von Nico Welp übrigens genauso wie die Aufnahme von Pferdenotfällen auf Basis eines reinen Ehrenamtes. Und das wird schwieriger: „Es werden immer mehr Pferde, aber immer weniger Menschen können sich ein Pferd wirklich leisten. Die Vermittlung wird schwieriger und aufwendiger, und das bei immer weiter zurückgehenden Spenden für sich in Notlagen befindliche Tiere“, warnt Nico Welp. (Nils Michael Becker)
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