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Das Anreiten – Ein Blick in die klassische Literatur

Ein kurzer Streifzug durch die klassische Literatur der Reiterei liefert eine erstaunliche Ausbeute über das Anreiten. Diese Auswahl bietet natürlich keinen Anspruch auf Vollständigkeit, zeigt aber sehr deutlich, dass man sich schon immer sehr intensiv mit dieser wichtigen Phase der Pferdeausbildung beschäftigte. Und sie zeigt auch, dass es eine erstaunliche Vielfalt der Vorgehensweisen gab und gibt. Nur eins ist allen gemeinsam: Es wird zu langsamem und besonnenem Handeln geraten und ein gut vorbereitetes Pferd gewünscht.

 Xenophon

Xenophon war der Meinung, dass ein Pferd nur von professioneller Hand angeritten werden solle.
Das „Fohlen“ müsse immerhin zahm sein, wenn es anderen Bereitern übergeben würde, außerdem folgsam und zutraulich. Ziele, die heute noch genauso Gültigkeit haben und erstrebenswert sind, wie vor über 2000 Jahren.
Dass ein Amateur ein Pferd anreitet, davon hielt Xenophon allerdings überhaupt nichts: Wer als „Jüngling“ reite, solle doch besser an seinen Reitfähigkeiten arbeiten, statt Pferde anzureiten. Wer hingegen schon reiten könne, aber kein Profi sei, solle sich doch besser um Dinge kümmern die der Gesellschaft dienten, als um die Erziehung junger Pferde.
Wer sein Pferd aber nun in Beritt gäbe, müsse folgendes beachten: „Man muß dabei jedoch so vorgehen wie bei einem Knaben, den man in die Lehre gibt, indem man einen schriftlichen Vertrag aufsetzt, welcher festlegt, mit welchen Kenntnissen die Lehrzeit als abgeschlossen gilt. (…)“

Francois Robichon de la Gueriniere

Bei Francois Robichon de la Gueriniere findet sich erstaunlich wenig zum Anreiten eines jungen Pferdes, obgleich sein Buch ansonsten sehr umfassend ist. Lediglich einige allgemeine Weisheiten, die gerade in der sensiblen Anreitphase wichtig sind, lassen sich entdecken, ehe er bereits auf die dressurmäßige Ausbildung an sich eingeht.
Ganz besonders legt Gueriniere Wert darauf, dass das Ausbildungstempo dem Pferd angepasst wird – wer diese Achtsamkeit nicht an den Tag lege, verdürbe das Pferd: Er würde es ermüden, die Arbeit hassen lehren und letztlich auch Sehnen und Nerven des Tieres schädigen, was es letztlich zu Grunde richte. „Sie gehorchen alsdann, weil ihnen die Kräfte zum Widersetzen fehlen, aber auf eine unanständige Art, und ohne einigen Nachdruck“, schreibt er und fügt hinzu, dass von besonderem Übel das zu junge Anreiten sei. Damit verbunden seien körperliche Schäden des Pferdes, der Rücken würde angegriffen und man „schwächt ihnen die Kniekehlen und verdirbt sie auf immer“. Er empfiehlt, Pferde erst im Alter von sieben bis acht Jahren anzureiten.

James Fillis

James Fillis beschreitet einen Weg, der uns heute meist fremd und gleichzeitig hoch anspruchsvoll erscheint. Obwohl er es heftig in Abrede stellt, wurzeln seine Vorgehensweisen dennoch auf den Methoden Francois Bauchers. Wie dieser legt Fillis zunächst gesteigerten Wert darauf, das anzureitende Pferde nachgiebig im Maul zu machen, was durch verschiedene Abkauübungen im Stand und im Schritt vom Boden vorbereitet wird. Dies geschieht übrigens von Anfang an auf Kandare mit Unterlegtrense. Auch das eigentliche Anreiten wird mit dieser Zäumung vorgenommen. Allerdings kommt bei den ersten Reitversuchen nur die Trense zum Einsatz. „Ich lasse beim Aufsitzen mir mein Pferd niemals von einem Anderen halten. Alle Pferde werden artig, wenn man sie nicht festhalten lässt. Man muss mehrere Male hintereinander auf- und absitzen, und dabei das Pferd liebkosen, damit es Vertrauen fasst. Man muss sich so weich und leicht als möglich in den Sattel setzen und besonders vermeiden, das Pferd schon beim ersten Anreiten scharf anzufassen denn wenn es auf eine ungestüme Behandlung gefasst ist, wird es niemals ruhig beim Aufsitzen bleiben.
Die ersten Male auf dem Rücken eines jungen Pferde verlangt Fillis „nichts“ von ihnen, er ließ sie, wie er schrieb, nur einige Male in der Bahn herum gehen. Vorausgesetzt allerdings, sie würden sich nicht wiedersetzen, doch dies, so beschreib er seine Erfahrungen, käme eher selten vor.
„Wenn das Pferd den Kopf zu tief trägt suche ich ihm denselben aufzurichten durch kleine, fast unmerkliche Trensenanzüge von unten nach oben und nicht von vorn nach hinten; trägt das Pferd die Nase hoch, so lasse ich die Kandare leicht wirken, aber nur so, dass das Vorschreiten nicht gehemmt wird“
Zum Anreiten der Pferde benutzte Fillis also Trense und Kandare, ein vollkommen unüblicher Weg. Wichtig erschien ihm auch gleich zu Beginn eine rege Maultätigkeit. Fand diese aus seiner Sicht nicht ausreichend statt, forderte er sie vom Boden aus ein: „Biege an der Hand das Pferd bis zum Gehorsam ab.“
War der Gehorsam erzielt, war auch Fillis eines ganz wichtig: Das Pferd ausgiebig loben und die ersten Erfahrungen unter dem Reiter „mit Rüben“ belohnen.

Gustav Steinbrecht

Gustav Steinbrecht empfiehlt in seinem Gymnasium des Pferdes eine gründliche Vorbereitung an der Longe. Allmählich wird dort dann der Longengurt gegen den Sattel vertauscht und das Pferd mit dem Reiter vertraut gemacht. Sein gesamtes Vorgehen erscheint uns heute bereits sehr vertraut.
„Man gebrauche dabei die Vorsicht, es Anfangs in der Bahn an der Longe zu satteln, damit, wenn es sich gegen diesen ihm neuen Druck durch krummen Rücken wehren sollte, ihm gleich der nöthige Raum gewährt werden kann, sich ordentlich abzuspringen“.
Dabei sollten natürlich die Bügel hochgezogen sein, damit sich das junge Pferd durch die herabschlackernden Bügel nicht erschreckt und unnötig in Panik gerät.
Bei misstrauischen Pferden empfiehlt Steinbrecht, dass ein Reiter mehrere Male vorsichtig auf- und absteigen solle, bis es schließlich vom Longenführer einige Schritte geführt werden könne.
„Wie lange man bei den einzelnen Abstufungen dieser Uebungen zu verweilen hat, richtet sich ganz nach dem Charakter und der Intelligenz des Pferdes, und muß der Beurtheilung des Bereiters allein anheim gestellt bleiben; man beherzige aber dabei stets das alte Sprichwort „Eile mit Weile“, denn Übereilungen rächen sich stets durch großen Zeitverlust.“

Alois Podhajsky

Auch Alois Podhajsky rät in seinem Buch „Die Klassische Reitkunst“ zu einem vorsichtigen Vorgehen, um Fehler zu vermeiden. Auch er empfiehlt, erst mit Longenarbeit das Pferd auf die künftigen Aufgaben vorzubereiten. Auf jeden Fall müsse schonend vorgegangen werden. Da Podhajsky in erster Linie mit Lipizzanern arbeitete, verweist er darauf, dass gerade diese Rasse bei Beginn der Arbeit, also im Alter von 3,5 bis 4 Jahren eben noch nicht ausgewachsen sei.
Wenn der Reiter die ersten Male vorsichtig auf den Pferderücken steige, solle dem Pferd Hafer oder sonstige Leckerbissen gegeben werden, „um es abzulenken und zu beruhigen“.
Auch Podhajsky lässt die Remonte erst einmal von dem Longenführer führen, bevor Reiter und Pferd alleine gelassen werden. Wobei „alleine“ so nicht ganz richtig ist: Podhajsky empfiehlt für die Anfangszeit ein älteres, ruhiges Führpferd, was vorweg läuft.

Nuno Oliveira

Nuno Oliveira beschreibt in seiner Schrift „Junge Pferde, junge Reiter“ sehr ausführlich, wie das Pferd angeritten wird. Er arbeitete auch erst an der Longe, da allerdings mit einem Kappzaum. In diesem Stadium arbeitete Oliveira generell mit einem Gehilfen, und bevor das Pferd an die Longe kam, wurde ihm an der Hand die Bahn gezeigt. Auch hier müsse schon auf das „korrekte Passieren der Ecken“ geachtet werden.

Herresdienstvorschrift

In der sogenannten „H. Dv. 12“, der Heeresdienstvorschrift für die Ausbildung von Reitern und Pferden für die deutsche Kavallerie wird knapp und doch genau beschrieben, wie die jungen Pferde anzureiten waren. Dabei ist bemerkenswert, wie schonend und natürlich die Pferde offensichtlich an ihre Arbeit herangeführt wurden.
Zur Vorbereitung dienen auch hier „Leinenarbeit oder freies Bewegen“
Eindringlich wird erklärt, dass das junge Pferd erst einmal lernen muss die Last des Reiters im wahrsten Sinne des Wortes zu ertragen. Und ähnlich wie bei Podhajsky wird auch hier der Tipp gegeben, das Pferd anfangs nicht ohne andere Pferde in der Bahn zu reiten: „Unter Ausnutzung des Herdentriebs werden die Remonten auf dem Reitplatz zunächst im Rudel geritten. Anlage eines großen eiförmigen Hufschlags, später einer großen Acht ist zweckmäßig.“
„Im Rudel“ Pferde anreiten, das ist wohl etwas, was heute so keiner mehr machen möchte, wenigstens kann man sich das anfängliche mögliche Durcheinander lebhaft vorstellen. Doch ein anderer Hinweis aus der Heersdienstvorschrift, wird auch heute noch von vielen Ausbildern empfohlen: „So früh wie möglich, jedenfalls bevor die Remonten zu voller Kräftigung gelangt sind, ist ausgiebig ins Gelände zu reiten. Hier sind sie auf langen, geraden Linien vorwärts zu reiten. Bei ungünstig gelegener Unterbringung sind sie lang ausgebunden neben alten Pferden an der Hand hinaus- und zurückzuführen und erst im Gelände zu besteigen.“

Nuno Oliveira hingegen möchte festgehalten sehen, dass man mit dem Pferd nicht ins Gelände gehen solle, bevor es „die verhaltenden, anhaltenden, treibenden und seitwärts treibenden Hilfen verstanden hat“.

FN

In den Richtlinien für Reiten und Fahren, Band 1, der FN (Deutschen Reiterlichen Vereinigung) beginnt der Prozess des Anreitens im Stall – mit dem Hinweis darauf, dass bevor an Arbeit mit dem Pferde zu denken sei, es erst einmal an seine neue Umgebung gewöhnt werden müsse. Dabei wird davon ausgegangen, dass das Anreiten nicht im „Heimatstall“ geschieht. Ist diese Phase beendet und das Pferd ebenso an die notwendigen Ausrüstungsgegenstände gewöhnt worden, beginnt die Arbeit an der Longe, in deren Folge ein Reiter erstmalig aufsitzt. Dabei könne die Wahl dieses ersten Reiters ganz entscheidend für den Erfolg sein, denn: “Er sollte erfahren und geschickt, weder ängstlich noch zu schwer sein und gut ausbalanciert zu Pferde sitzen.“ Andernfalls , so ist warnend in den Richtlinien vermerkt, könnten für den Reiter gefährliche Situationen entstehen, durch die das Pferd letztlich das nötige Vertrauen verlieren könne.
Eine aus Sicht der FN ganz wesentliche Maxime wird schon im Vorwort zu den Richtlinien Band I erwähnt:

„Auf ein junges Pferd gehört ein erfahrener Reiter“

und

„Das geschulte Pferd ist der beste Lehrmeister“. (sw/cls)

 

Ein sehr guter Überblick über die alten Reitmeister, findet sich in den Büchern von Bertold Schirg „Die Reitkunst im Spiegel ihrer Miester“.