Nicht nur eine Frage der Statik: Der Huf macht die Balance aus
Auch ohne Reiter gibt es so einiges, was das Pferd aus dem Gleichgewicht bringen kann, denn das Fundament eines ausbalancierten Pferdes sind seine Hufe. Was sich banal anhört, wird in der Praxis oft unterschätzt: Lahmheiten und Rückenprobleme sind die Folge. Ihre Ursache haben sie häufig in einer schlechten Hufstellung. Für die Dressur-Studien hat der Huf- und Lehrschmied Gustav Optenplatz aufgeschrieben, worauf Reiter achten müssen.
Der optimale Pferdehuf ist absolut gerade und symmetrisch – zumindest in der Vorstellung des Menschen. Doch in der Realität begegnet einem dieser ideale Pferdehuf kaum. Wie der Mensch, ist auch das Pferd nicht hundertprozentig symmetrisch gebaut: Es hat eine stärkere und eine schwächere Seite – ähnlich einem Menschen, der Links- oder Rechtshänder ist. Diese Unterschiede lassen sich auch am Pferdehuf feststellen. So verraten die Hufe, welches die starke Seite eines Pferdes, oder welchen Belastungen der Vierbeiner ausgesetzt ist. Die vier Hufe sind auch nicht alle gleich groß. Wenn ein Pferd auf der rechten Hand seine starke Seite hat, dann tritt es mit dem rechten Hinterfuß mehr zum Schwerpunkt hin. Dadurch nimmt es mit diesem Huf mehr Last auf, er trägt mehr: Dieser Huf ist immer größer und flacher als der andere Hinterhuf. Der andere Huf hingegen, der weniger Last aufnimmt, schiebt dafür besser. Das sind schon zwei verschiedene Impulse der Hinterhand, die die Vorderhand ausgleichen muss. Je nach Impuls der Hinterhand hat das auch direkte Auswirkungen auf die Form der Vorderhufe. Aus diesem Grund gilt: Gibt es Schwierigkeiten mit den Vorderhufen, müssen immer zuerst die Hinterhufe genau unter die Lupe genommen werden, denn meistens verbirgt sich hier das Problem. Deshalb sollte sich ein guter Hufschmied das Pferd immer zuerst von hinten anschauen, wo der Motor des Pferdes sitzt. Es reicht nicht, das Pferd nur von vorne auf sich zulaufen zu lassen, um die Bewegungsabläufe zu analysieren!
Im Gegensatz zu den Hinterhufen, die tragen und schieben, haben die Vorderhufe ausschließlich eine stützende Funktion. So unterschiedlich wie die jeweilige Funktion ist auch das Auffußen von Hinter- und Vorderhufen: Die Hinterhufe sollten in einer Phase gerade auffußen. Der Vorderhuf hingegen braucht dazu drei Phasen: Die Trachten landen zuerst, dann die Fußung mit der Hufsohle und schließlich folgt das Abfußen mit der Zehe. Das kann man sich in etwa so vorstellen, wie ein Flugzeug, das landet und sofort wieder durchstartet. Dieses Auffußen und die drei Phasen sollten gleichmäßig sein. Manchmal ist das nicht der Fall, wie beispielsweise bei einer Rehe: Dem Pferd schmerzen die Zehen, dann tritt es vermehrt mit den Trachten auf: Ein sicheres Zeichen dafür, dass hier etwas nicht stimmt – mit weit reichenden Folgen. Tritt ein Pferd ständig falsch auf, gerät es aus der Balance. Die Fehlstellung wirkt sich damit auch unmittelbar auf Gelenke, Bänder und Sehnen aus. Selbst Rückenprobleme können die Folge sein. Stellen Sie sich einen Menschen vor, der am linken Fuß einen Turnschuh und am rechten einen hochhackigen Pumps trägt: Man muss kein Mediziner sein, um vorauszusagen, dass diese Schuhkombination nach kurzer Zeit am ganzen Körper Probleme verursachen wird.
Auch die Hufform und Größe der Vorderhufe verraten einem vieles: Der stärkere Vorderhuf, der flacher und größer ist, zeigt immer nach etwas innen – dementsprechend bildet sich auch die stärkere Pferdeschulter aus. Hier setzt dann wieder der Reiter an, um sein Pferd gerade zu richten, damit das Pferd nicht nur eine gute Seite hat, sondern beide Seiten annähernd gleich stark werden. Es ist ganz wichtig, dass Hufschmiede und Reiter hier zusammenarbeiten: Der Schmied muss die Bewegungsabläufe erkennen, der Reiter sollte wissen, wie er durch gymnastizierende Arbeit seinem Pferd helfen kann, diese „Haltungsprobleme“ auszugleichen. Übrigens: Manche Taktprobleme beim Reiten haben gar nicht so selten ihre Ursache in einem Beschlag, der das Pferd aus der Balance gebracht hat.
Es ist sichtbar, ob der möglicherweise nicht ganz so ideale Huf seine Ursache im Körperbau des Pferdes hat. Exterieurprobleme können zu vermeintlichen Fehlstellungen führen – dabei gleicht das Pferd über die Hufstellung dann nur andere Probleme aus. In solchen Fällen muss man mit aller Vorsicht ans Werk gehen: Wer jetzt den Huf nämlich ohne Rücksicht auf den Rest des Pferdekörpers verändern will, riskiert gesundheitliche Schäden beim Pferd. Oder anders ausgedrückt: Wer jahrelang schief am Schreibtisch saß und plötzlich gerade sitzen soll, bekommt Rücken– oder Kopfschmerzen, vielleicht sogar beides. Denn im Laufe der Zeit haben sich Bänder, Sehnen und die gesamte Muskulatur auf diese Fehlhaltung eingestellt. Das darf nicht plötzlich radikal korrigiert werden, sondern muss ganz langsam dem Idealmaß angenähert werden.
Die optimale Stellung für das eigene Pferd kann jeder selbst herausfinden. Für die Vorderhufe gilt: Ziehen Sie ein Lot – also eine Linie im 90 – Grad Winkel – vom Buggelenk bis zur Außenseite des Hufes: Gelingt das, steht Ihr Pferd optimal. Und für die Hinterhufe gilt: Auch hier wird ein Lot gezogen, vom Hüftgelenk wieder bis zur Außenseite des Hufes. Verbindet man diese Linien, ergeben sie immer ein Viereck – unabhängig davon, ob ein Pferd eher breit oder eng steht. Jedes Pferd versucht instinktiv, diese Linien einzuhalten, also: Wenn ich als Schmied das Pferd nun unbedingt gerade stellen möchte, damit die Linien aber nicht mehr eingehalten werden, entstehen wieder Probleme.
Und noch ein Punkt, der mir besonders am Herzen liegt: Hufschmied, Reiter und Tierarzt müssen unbedingt eng zusammenarbeiten. Auch der beste Schmied oder Hufbearbeiter kann nicht ausgleichen, was schlechtes Reiten verursacht. Umgekehrt gilt das freilich genauso: Auch der beste Reiter kann nicht dafür sorgen, dass sein Pferd taktklar und ausbalanciert ist, wenn der Schmied sein Pferd durch einen schlechten Beschlag aus der Balance bringt. Alle Beteiligten müssen unvoreingenommen zusammenarbeiten – zum Wohl des Pferdes.
Alarmzeichen
Beobachten Sie, wie Ihr Pferd mit den Vorderhufen auf- und abfußt: Sind alle drei „Phasen“ gleichmäßig? Oder belastet es stärker die Trachten? Das könnte ein Alarmzeichen für eine Stoffwechselerkrankung wie Rehe sein. Treten die Pferde vermehrt mit den Zehen auf, kann das ein Symptom für eine Gelenkserkrankung sein.
Hat Ihr Pferd hinter der Sattellage auf der Wirbelsäule eine kleine Aufwölbung? Auch das ist ein Hinweis darauf, dass Ihr Pferd aus der Balance geraten ist und eventuell eine Fehlstellung der Hufe vorliegt.
Falls Ihr Pferd nach dem Schmiedbesuch lahmt: Rufen Sie Ihren Hufschmied an. Ein weiteres Zeichen, bei dem die Alarmglocken nach einem neuen Beschlag schrillen sollten: Die Mähne Ihres Pferdes liegt plötzlich zur anderen Seite als der gewohnten? Auch das ist ein sicheres Zeichen dafür, dass Ihr Pferd aus der Balance geraten ist.
Falls Ihr Pferd lahmt oder unsauber läuft, Sie sich aber unsicher sind, welches Bein betroffen ist: Hören Sie genau hin: Der Huf, welcher gesund ist, fußt deutlich lauter auf, als der kranke.
Kurz und Knapp
Das Pferdeherz ist nicht stark genug, um für eine ausreichende Blutzirkulation bis in die Hufe zu sorgen. Das übernimmt der Hufmechanismus. Ist der Mechanismus beispielsweise durch eine Fehlstehllung der Hufe gestört, führt das zu massiven gesundheitlichen Problemen – nicht nur in den Hufen, sondern auch in den Pferdebeinen.Im Schritt wird der Hufmechanismus besonders angeregt – mehr als in jeder anderen Gangart. Wildpferdeherden legen bis zu ihrer Wasserstelle im Schnitt 40 Minuten zurück und sorgen so ganz nebenbei dafür, dass der Hufmechanismus richtig aktiviert wird. Wer sicherstellen möchte, dass sein Pferd auf allen vier Hufen fit bleibt, sollte deshalb sein Pferd täglich mindestens auch 40 Minuten im Schritt bewegen, bevor er sein Pferd in anderen Gangarten arbeitet. (Huf- und Lehrschmied Gustav Optenplatz )
Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft 3/2008 „Balance und Harmonie“, welches als Einzelheft vergriffen ist. In unserem Sammelband 2008 ist es enthalten und hier bestellbar.