Dieser Artikel gehört zur Reihe „Ihr schwierigster Fall“ in unserem Heft 1/2017.
Nathalie Penquitt ist Tierärztin und Ausbilderin für Freizeitpferde aus Bruchhausen-Vilsen in Niedersachsen. Ihr schwierigster Fall war zugleich auch ihr interessantester, erinnert sich die Trainerin: „Ein Pferd, welches sich nicht einfangen ließ. Es war eine Paso-Peruano-Stute über deren Geschichte ich nicht viel wusste. Sie kam als Trainingspferd zu mir, weil der Besitzer glücklicherweise einsah, dass ein Pferd, das sich nicht einfangen lässt, meistens ein Problem mit der Gesamtsituation hat.“
Pferde, die sich auf der Weide nicht einfangen lassen, treiben nicht nur ihre Besitzer zur Verzweiflung: Oft ist auch das Pferd gestresst, weil mit dem Einfangen meistens eine Situation verbunden ist, die der Vierbeiner nicht angenehm findet: beispielsweise weil er von der Herde getrennt werden soll oder eine Fahrt im Anhänger bevorsteht. „Sensible Pferde reagieren hier mit Stress, auch wenn sich das nicht alle Pferde anmerken lassen“, beschreibt Nathalie Penquitt: „Genau so ein Fall war die Paso-Stute.“ An der Hand ließ sie alles über sich ergehen, sie „ertrug“ die Situation schlicht: „Sie hatte keinen Spaß an Berührungen von Menschen, sondern eher Angst davor.“ Sie sei ein zurückhaltendes Pferd gewesen, welches zwar immer zu kontrollieren gewesen sei und das scheinbar „brav“ alles mitgemacht habe, aber: “Sie war sehr introvertiert und hatte kein Vertrauen zum Menschen. Nur auf der Weide zeigte sie Interesse an der Umwelt. Sie beäugte mich und fand mich interessant, traute sich aber nicht an mich heran, wenn ich einfach nur auf der Weide stand.“ Im Umgang mit anderen Pferden sei sie eher schüchtern gewesen: „Sobald irgendetwas für sie nach Gegenwind aussah, zog sie sich in ihr Schneckenhaus zurück. Sie stand sehr oft abseits. Die Stute war also nicht aufsässig oder wollte den Menschen mit einem Spiel dazu bringen, sie zu fangen, sondern sie war einfach verstört.“
Nathalie Penquitt löste das Problem mit viel Ruhe und Geduld, und zwar nicht innerhalb weniger Tage, sondern innerhalb von zwei Monaten: „Solange brauchte die Stute um Vertrauen zu mir, zu anderen Menschen und in die ganze Situation zu fassen. Und die Zeit musste ich mir einfach nehmen, sonst wäre das Training nicht nachhaltig gewesen.“
Die Ausbilderin entschloss sich, an diesem Pferd nicht mit negativer Verstärkung zu arbeiten: Sie wollte keinen Druck erzeugen und diesen dann als Belohnung wieder weglassen. Stattdessen setzte Nathalie Penquit auf die positive Verstärkung, in diesem Fall auf das Clickertraining. Dabei wird ein Lob in Form eines Klickgeräusches mit Futter verknüpft und kann dann auch auf Entfernung und unmittelbar bei einer gewünschten Handlung gegeben werden. „Mit diesem Training, und auf kleinerem Raum als der Sommerweide, erarbeiteten wir, dass Interesse am Menschen – und wenn es auch nur ein Blick in unsere Richtung war – sich positiv auswirkt. Ich lobte jede kleine Bewegung auf mich zu.“ Nathalie Penquitt bewegte sich nicht auf die Stute zu, sondern ließ sie selber erforschen und ging manchmal sogar weg, damit sich das Pferd nicht unter Druck gesetzt fühlte. „Manchen Pferden und Menschen ist ein Kontrollverlust unheimlich und fühlen sich schnell ausgeliefert. Diesen Impuls kann ich nicht mit Druck neu konditionieren, sondern da muss ich mir ein neues Muster einfallen lassen.“
Sie nahm sich am Anfang mehrere Stunden Zeit für ganz kleine Fortschritte: „Niemals funktioniert so etwas, wenn ich gleich zum nächsten Termin muss. Der Druck sitzt mir im Nacken und überträgt sich auf das Tier. Damit kann ich das vorher schon erarbeitete Vertrauen wieder verlieren. Diese Verantwortung dem Pferd gegenüber darf keinesfalls vernachlässigt werden, es wäre ein echter Verrat an seinem Partner.“
In kleinen Schritten gelang es Nathalie Penquit, das Vertrauen der Stute zu gewinnen: „So konnte ich erst ein Halfter zeigen, dann hinhalten, später den Pferdekopf hineinstecken und wieder herausnehmen. Schließlich war es möglich, das Pferd kurz aufzuhalftern und wieder freilassen.“
Doch das eigentliche Ziel war damit noch nicht erreicht: „Immer noch ging es nicht darum, das Pferd aufzuhalftern und wegzubringen. Erst viel später, nachdem auch das Anfassen und Streicheln durch den Menschen positiv etabliert war, konnten wir eine Runde mit dem Pferd am Halfter gehen oder es auch kurz aus dem Auslauf nehmen und es dann wieder zurückstellen. Nachdem das auch mit vielen anderen Menschen funktionierte und das Pferd freiwillig herkam, konnte es zurück zu seinem Besitzer. Ein schöner Erfolg!“ (Diana Krischke)
Mehr Informationen über Nathalie Penquitt erhalten Sie unter www.penquitt-pferdeschule.de