Herrn Schlingel mussten wir leider im Alter von 30 Jahren gehen lassen. Damit Orgulloso aber auch weiterhin Pferdeunterhaltung zur Verfügung steht (und er nicht nur mich anblubbert), wohnt seit einer Woche Leo bei uns.
Leo ist Wallach, 16 Jahre jung und ebenfalls ein Spanier. Doch damit enden schon die Gemeinsamkeiten mit Mr.P. Obwohl: Anfangs dachte Leo, er könne die Weltherrschaft übernehmen. Orgu hat ihm in nur 60 Sekunden klargemacht, dass er natürlich herzlich willkommen ist. Aber: Es kann nur einen geben. Im Gegenzug würde er Leo in die hiesigen Gepflogenheiten einweihen.
Am nächsten Morgen betrete ich zur Früh-Fütterung den Stall und werde aus zwei Mäulern lautstark angeblubbert: „Du bist wieder einmal einen Hauch zu spät, nicht wahr?“, rüffelt Orgu mich. „Von diesen Servicedefiziten hast du mir noch gar nichts berichtet“, brummelt Leo empört. Ich ziehe belustigt die Augenbrauen hoch und gehe in die Futterkammer.
„Hoffentlich kommt das heute servierte Heu aus einer Südhanglage“, näselt Leo, „die Nachtportion war ja geschmacklich doch recht kratzig im Abgang.“ „Ja, es ist schon ein Unbill“, stimmt Orgu seufzend in das Klagelied mit ein, „die Qualitätskontrolle lässt leider oft zu wünschen übrig!“
In aller Ruhe kippe ich die vorbereiteten Heucobs in zwei Schüsseln: „Sie ist ziemlich behäbig, oder?“, kommentiert Leo. Ich drehe mich um: „Ihr wisst schon, dass ich euch hören kann?“ „Dann beeile dich doch endlich!“, blubbert Orgu. Mit aufreizender Langsamkeit verteile ich in Orgus Schüssel die nötigen Zusatzfuttermittel, als Leos Blubbern ertönt: „Warum bekommt der das und ich nicht? Nur weil ich neu bin, heißt das doch nicht, dass ich ein schlechteres Verpflegungspaket gebucht habe. Das sind ja unfassbare Zustände hier! Orgu, gibt es hier eigentlich keine Pinnwand mit der Telefonnummer des Tierschutzes?“ Ich atme tief durch: „Leo, was du genau an Zusatzfuttermitteln brauchst, finden wir noch heraus …“ „Bestimmt keine“, kräht Orgu, „guck mal, was Leo für einen dicken Bauch hat.“ Leo kräuselt echauffiert die Nüstern und fixiert Orgus Bauchumfang. Ich beschließe, dass es höchste Zeit ist, das Frühstück zu servieren.
Der Mittagsservice erfolgt pünktlich, dazu rufe ich ein fröhliches „Herzelein, es gibt Mittagessen“, und zwei Pferde brummeln mir aufmunternd zu: „Natürlich hat sie mich damit gemeint!“ „Nein, mich hat sie gemeint.“ „Blödsinn, ICH war gemeint.“ Ich serviere stumm den Hauptgang.
Am Abend kredenze ich den handgekochten Leinsamenschleim – beiden Pferden: „Das ist eklig“, sagt Leo, „Konsistenz, Farbe und Geschmack genügen nicht meinen Ansprüchen. Und warum sind hier nur vier lächerliche, hauchdünne Möhrenscheibchen als Sättigungsbeilage dabei? Das müssten doch mindestens vier ganze Möhren sein?“
Bei der nächsten Frühschicht werde ich von beiden mit empörten Grummeln begrüßt. Es folgt eine lange Litanei über nicht wünschenswerte Verspätungen im Allgemeinen und die Futterqualität im Besonderen, dazu ein längerer Monolog von Orgu, wie peinlich es ihm ist, dass er mich in fast 19 Jahren nicht besser erziehen konnte – begleitet von Leos zustimmendem Schnauben.
Ich lächele und ziehe meine Kopfhörer aus der Tasche. Das Letzte, was ich von den Fell-Tyrannen höre, ist ein „Wage es nicht, Menschen sind verpflichtet, mit Pferden zu kommunizieren!“ Ich rufe meine Playlist auf und starte einen Song: AC/DC, Highway to Hell. Was für eine himmlische Ruhe! (cls)
Die Glosse ist in unserem Heft 1/2021 „Eine tolle Abwechslung für jedes Pferd: Working Equitation“ erschienen.