Hilfszügel und ihre Benutzung sind keinesfalls Erfindungen unserer Zeit. Schon François Robichon de la Guérinière beschrieb den sogenannten Sprungriemen, der wie ein Stoßzügel wirkte. „Einige Reiter behaupten, dass man durch den Gebrauch dieses Werkzeugs das in die Hand stoßen und Kopfschlagen eines Pferdes verhüten könnte“, führt der barocke Reitmeister aus, stellt aber gleich im nächsten Satz klar, dass dies ein großer Irrtum sei. „… man sollte diese Erfindung aus guten Reitbahnen verbannen“, ist sein vernichtendes Urteil. Diese kritische Einstellung gegenüber Hilfszügeln findet sich seitdem in fast allen Reitlehren wieder.
Beim Blättern in der Reitliteratur fällt allerdings auf, dass Hilfszügel anscheinend weniger Bedeutung hatten, solange die Pferde überwiegend auf Kandare gezäumt wurden. Erst im 19. Jahrhundert werden Hilfszügel häufiger erwähnt – gleichzeitig rückte die Ausbildung der Pferde auf Trense in den Vordergrund. Major B. von Oeynhausen nannte Mitte des 19. Jahrhunderts die Gründe, warum ein Ausbilder zum Hilfszügel greifen könnte. Meist sei der Beweggrund eine besondere Widerstandsleistung des Halses oder des Rückens, welche das Geschmeidigmachen dieser beiden Körperteile erschwere. „Der Zweck der Anwendung ist daher Beschleunigung der Dressur, bei Vorhandensein besonderer Hindernisse“, erklärt er, fügt aber kritisch hinzu, dass manche Abrichter lieber gleich zum Hilfszügel griffen, anstatt erst einmal nach der Ursache der Schwierigkeiten zu forschen. So würden Pferde mit Bockzügeln ausgerüstet, weil sie sich am Anfang der Lektion gegen den Sattel spannten, wo ihnen doch viel besser geholfen wäre, sie langsamer zu gurten und einige Male um die Bahn zu führen, damit das Bocken erst gar nicht aufträte.
Sein Zeitgenosse E. F. Seidler, übrigens der Erfinder des Hannoverschen Reithalfters, hatte eine weit pragmatischere Einstellung zum Hilfszügel. „Man fürchte nicht den Gebrauch eines Hilfszügels, sondern lehre den angehenden Reiter, solchen zweckmäßig und vorsichtig zu benutzen.“
Oberst Friedrich von Krane war 1870 bei diesem Thema völlig kompromisslos. „Hilfszügel sind dort (in der Kavallerie) meist faule Knechte, die den Schein geben helfen und andere faule Knechte im Nichtstun unterstützen“, wettert er. Und kanzelt im weiteren die Benutzer von Hilfszügeln ab: „Hilfszügel geben so leicht den Anstrich eines Fortschrittes und sind deshalb bei den Leuten, denen es nicht um das Sein, sondern um den Schein zu tun ist, so beliebt.“ Gustav Steinbrecht sah die Sache wieder differenzierter – wohl auch aus der nüchternen Sicht eines Berufsreiters, der gelegentlich rasch Ergebnisse abzuliefern hatte. „Was aber ein Reitpferd werden will, muss die Nase hergeben, da gibt es gar keine Ausnahme“, sagt er in seinem Standardwerk „Gymnasium des Pferdes“ (1886) und führt weiter aus, dass sich der Bereiter besonderer „Hülfsmittel in der Zäumung“ bedienen könne. Doch warnt er sogleich: Alle „todten Vorrichtungen und Hülfszügel, d.h. alle solche, die durch Festbinden und Schnallen eine gleichförmige Wirkung äußern, sind ohne Ausnahme mehr nachtheilig als nützlich, da sie sämtlich verderbend auf das Maul des Pferdes wirken, denn die Eindrücke durch das Gebiss können nur durch die lebende und feinfühlende Hand des Reiters richtig abgewogen werden.“
Adolf Kästner gesellte 1876 in „Die Reitkunst“ zum Begriff des Hilfszügels noch den des „Nothzügels“ – eine Wortschöpfung, die in Vergessenheit geraten ist. Notzügel sind bei ihm alle Vorrichtungen, die fest am Pferd verschnallt werden, Hilfszügel hingegen solche, die der Reiter mit in der Hand führt und somit bei Erfolg auch nachgeben kann. Auch er hebt jedoch hervor: „Der Grundsatz ist hier aufzustellen, daß Hülfszügel nur von demjenigen Reiter mit wirklichem Nutzen gebraucht werden können, welcher auch ohne dieselben zum Zwecke zu gelangen versteht.“
Ludwig Seeger hatte die selbe Einstellung. Er beschreibt in „System der Reitkunst“ (1844), wie Hilfszügel nur helfen können, wenn sie in Verbindung mit Fäusten, Schenkeln und Sporen des Reiters zur rechten Zeit zusammenwirken. Doch „derjenige Reiter, der diese Zusammenwirkung in seiner Gewalt hat, wird sie (die Hilfszügel) gewiss gänzlich entbehren können.“
Der Tierarzt und Reiter Udo Bürger zeigt in „Vollendete Reitkunst“ (1959) kein Verständnis für Pferdeausbilder, die sich eines Hilfszügels bedienen. Er warnt eindringlich: „Es gibt sogar Reiter, die sich mit Pferderausbildung befassen und die in ihrer Rat- und Gefühllosigkeit zum feststehenden Ausbindezügel, zum flaschenzugartig wirkenden Schlaufzügel und anderen sinnreichen Konstruktionen von Hilfszügeln greifen, welche Kopf und Hals des Pferdes herunterziehen und so eine Beugehaltung erzwingen, die eben nur eine Zwangshaltung sein kann. Man kann mit solchen Methoden und der nötigen grausamen Ausdauer beste Pferde zerbrechen und ihnen den Lebensmut nehmen.“
Die heutigen Richtlinien (Stand: 2007) für Reiten und Fahren schließlich erwähnen Hilfszügel außer beim Longieren überhaupt nicht. Lediglich in Band II werden sie kurz erwähnt, wenn es um den schwingenden Pferderücken geht – ihr Einsatz wird verworfen: „Auf keinen Fall kann mit gewaltsamen Methoden der Rücken zum Schwingen gebracht werden. Der Einsatz von Schlaufzügeln, anderen Hilfszügeln oder auch scharfen Gebissen wird meistens nur Scheinerfolge ermöglichen und beseitigt nicht das Problem in seiner eigentlichen Ursache.“(san)
Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft „Tabuthema Hilfszügel“, welches als Einzelheft vergriffen, aber im Sammelband 2007 enthalten ist.