Beharrlich und in kleinen Schritten ans Ziel: Erziehung von Pferden aus psychologischer Sicht
Erfahrungsbericht:
Olivia Julino besitzt ihren Welsh Cob Leander, genannt Knopf, seit seinem dritten Lebensjahr. Heute ist der Wallach 14 Jahre alt. Knopf war als Jungpferd nicht einfach, er hatte traumatische Erfahrungen gemacht. Von Anfang an hatte Olivia daher auf konsequenten Umgang sehr viel Wert gelegt. Aber mit den Jahren, so beobachtet sie, lässt die Disziplin nach: „Gerade wenn man ein Pferd schon längere Zeit besitzt, leiert die Konsequenz sozusagen aus. Das sehe ich auch bei mir. Beispiel Putzen: Knopf steht unangebunden nicht so ordentlich still, wie ich mir das wünsche. Denn das ist ihm langweilig. Krabbelt gern mal einen Schritt, dann noch einen Schritt vor, um zu sehen, ob es einen Meter weiter nicht etwas Interessanteres gibt. Das gleiche gilt, wenn ich ihn führe und irgendwo mit jemandem ein Schwätzchen halten möchte. Da kann der Herr auch nicht still stehen. Schließlich könnte ja der Gesprächspartner was Lustiges mit ihm anstellen wollen oder was Leckeres in der Tasche haben. Aus ist es mit der Konsequenz – sie hat sich davon geschlichen. Das würde ich mit einem neuen Pferd nie machen, dem würde ich nichts durchgehen lassen! Das passiert eben, weil Pferd und Mensch schon so lange aneinander gewöhnt sind. Ich habe mir überlegt: Man sollte sich einmal alles aufschreiben, was einen ärgert an seinem Pferd. Und sich dann einen Punkt nach dem anderen vornehmen. Wenn man sich so sein Ziel formuliert, ist es sicher leichter, dabei zu bleiben.“
Warum ist es eigentlich so schwer, konsequent zu sein? Eigentlich soll das Pony keine Leckerlie mehr bekommen – aber diesem flehenden Blick kann niemand widerstehen. Und wieder einmal hat es der Pferdebesitzer nicht geschafft, seine guten Vorsätze in die Tat umzusetzen. Und das Pferd hat gelernt: Wenn ich lange genug bettle, bekomme ich doch etwas. Es fehlt eben oft an Konsequenz bei der Pferdeerziehung – doch warum fällt es Pferdemenschen so schwer, ihre Erziehungsziele unbeirrt zu verfolgen? Diesem Phänomen wollen die Dressur-Studien auf den Grund gehen und sprachen mit Experten: Dr. Christian Lüdke, approbierter Psychotherapeut für Kinder und Jugendliche, und Kerstin Lüdke, Reiterin und angehende Psychologin.
Frau Lüdke, wo liegt das Problem für viele Reiter, die Erziehung ihrer Pferde konsequent durchzuhalten?
Der Pferdesport nimmt viel Zeit und Geld in Anspruch. Nicht selten halten sich Reiter mehrere Stunden täglich im Stall auf – das ist schon ein großer Teil des Lebens, für manche sogar der wichtigste Teil. Deshalb spielen hier viele Emotionen mit. Das Pferd wird als Freund gesehen und nimmt fast die Rolle eines Hundes ein. Dabei ist es ja im eigentlichen Sinne kein Haustier, sondern lebt im Stall. Pferdebesitzer neigen jedoch dazu, ihre Tiere zu vermenschlichen: Ihnen werden Eigenschaften zugeschrieben, die nicht mehr tierhaft sind. Sie erwarten von ihrem Pferd – ihrem Freund – ein fast vernünftiges, reflektiertes Verhalten.
Viele Pferdebesitzer versuchen also, mit dem Tier auf menschliche Weise zu kommunizieren. Das ist für das Pferd aber oft nicht verständlich. Und verhält es sich dann doch wie ein Tier, ist der Mensch genervt, enttäuscht und neigt zur Überreaktion. Diese inkonsequente Haltung kann für das Tier höchst verstörend wirken: Erst bekommt es keine klare Ansage, dann folgt ohne Vorwarnung die Explosion. Herr Dr. Lüdke, wie sähe denn ein konsequentes Verhalten aus?
Herr Dr. Lüdke, wie sähe denn ein konsequentes Verhalten aus?
In der Psychologie gehören zur Konsequenz drei Begriffe: Folgerichtigkeit, Beharrlichkeit und Zielstrebigkeit. Das heißt im Klartext: Wer etwas lernen soll, braucht klare Grenzen und viele Wiederholungen. Kleine Kinder verhalten sich da genauso wie Pferde: Sie testen Grenzen aus, fragen sozusagen ständig: Wie weit kann ich gehen? Kommt dann keine klare Antwort, gehen sie einen Schritt weiter. Tatsächlich erwarten sie geradezu, dass ihnen eine Grenze gesteckt wird. Denn das gibt ihnen Sicherheit und stärkt das Vertrauen. Laissez faire dagegen ist eher schädlich für die Entwicklung. Besser ist eine freundliche Dominanz – das gilt tatsächlich auch für Kinder. Die Eltern müssen immer etwas stärker sein als das Kind.
Und wie schafft man das?
Für den Erziehenden und für den Zögling ist es wichtig ein klares Ziel zu haben. Der Erziehende muss sich daher bewußt machen, was er erreichen will. Er braucht zur Orientierung ein bestimmtes Richtziel, das sich in weiter Ferne befindet. Viele Nahziele und auch Fernziele führen dorthin. Wer den langen Weg unterteilt in lauter kleine Wegmarken, kann viele kleine Erfolge feiern. Das motiviert!
Zu einer guten Führung gehören übrigens nicht nur ein Ziel und seine Umsetzung, sondern auch Kontrolle. Der Erziehende sollte sich also selbst überprüfen: Wie weit bin ich gekommen? Habe ich mein Ziel erreicht? Gibt es Rückschritte? Woran liegt das?
Können Sie einen konkreten Tipp geben, wie man sein Ziel erreichen kann?
Ganz klar: mit Lob. Psychologisch ausgedrückt, mit positiver Verstärkung. Wird das gewünschte Verhalten gezeigt, folgt sofort die Belohnung. Bleibt das Verhalten aus, gibt es auch kein Lob. Im Grunde ist das als Bestrafung ausreichend. Die Methode der positiven Verstärkung funktioniert so gut, weil sie motivierend wirkt. Wird immer nur gestraft, geht die Motivation unweigerlich verloren.
Kerstin Lüdke:
Es ist wichtig, sich das Ziel ganz konkret zu machen. Was stört mich? Wie will ich das ändern? Ich suche also nach Gründen für ein unerwünschtes Verhalten bei meinem Pferd und ziehe dann die Konsequenzen. Ein Beispiel: Mich hat die ständige Bettelei meines Pferdes gestört. Ich sah die Ursache darin, dass ich immer mal Leckerlie gegeben habe. Also habe ich mir vorgenommen, gar keine Leckerlie mehr zu füttern. Die Bettelei hat heute fast völlig aufgehört. Eine Alternative wäre, nur noch Leckerlie zu geben, wenn das Pferd direkt zuvor eine Leistung gebracht hat – beispielsweise bei Zirkuslektionen. Aber eben nicht einfach zwischendurch, zur Begrüßung oder weil es so schöne Augen macht. Ganz wichtig ist, diese Vorgabe auch durchzuhalten.
Christian Lüdke:
Ja, unklare Signale oder inkonsequentes Verhalten des Erziehenden sind fatal. Wenn dieselbe Verhaltensweise einmal ignoriert wird und dann setzt es dafür ein Donnerwetter, wird der Zögling völlig verunsichert. Er weiß einfach nicht, woran er ist. So widersprüchliche Signale kommen einem Vertrauensbruch gleich. Deshalb ist es so wichtig, beharrlich zu sein.
Beharrlich heißt aber nicht, unausgesetzt zu nörgeln. Ein Signal muss auch klar erkennbar sein. Wenn ständige Ermahnungen so eine Art Grundrauschen bilden, werden sie über kurz oder lang gar nicht mehr wahrgenommen. Irgendwann habe ich dann den Punkt verpasst, an dem ich überhaupt noch Aufmerksamkeit errege. Deshalb: lieber einmal energisch werden und eine klare Grenze setzen.
Was verstehen Sie in diesem Zusammenhang unter energisch – wo ist da die Grenze zur Gewalt?
Christian Lüdke: Klar heißt nicht gewalttätig. Bei der Erziehung gehört zur ordnenden Hand auch immer die schützende Hand. Überreaktionen entstehen meistens aus Unsicherheit, die aus Unwissenheit resultiert. Eltern würde ich in so einem Fall raten: Informiert euch, sprecht mit anderen Eltern mit ähnlichen Erfahrungen, etwa in einer Krabbelgruppe.
Dabei können Eltern das Verhalten ihrer Kinder vergleichen und sehen: Was ist normal in diesem Alter oder wann habe ich schon mit Folgen falscher Erziehung zu kämpfen.
Frau Lüdke, von den Eltern wieder zu den Reitern – wie übersetze ich das in die Pferdewelt?
Ganz einfach: Wer unsicher ist im Umgang mit dem Pferd oder Angst hat, etwas falsch zu machen, sollte sich Rat bei erfahrenen Miteinstellern oder professionellen Ausbildern holen. Es kann ja auch sein, dass eine vermeintliche Widersetzlichkeit tatsächlich auf Schmerzen des Tieres zurückzuführen ist. Oder der Mensch ruft sie, ohne es zu merken, selbst hervor – durch eine falsche Verhaltensweise.
Erfolgreiche Ausbilder arbeiten nach dem Muster: Reiz und Reaktion. Sie wissen, dass ein Pferd nicht nach menschlichen Maßstäben logisch denken kann. Das muss sich eigentlich jeder Pferdebesitzer vor Augen führen: Ein Pferd reagiert nach bestimmten Verhaltensmustern. Es denkt nicht wie ein Mensch, selbst wenn das dem Besitzer manchmal so scheinen mag. Ein Coaching von außen ist da oft sehr hilfreich. Es kann solche überzogenen Erwartungen bewusst machen und damit eine Quelle von Missverständnissen ausräumen.
Frau Lüdke, Herr Lüdke, vielen Dank für das Gespräch! (Stefanie Simon)