Von Anja Grothe
Wirksames Instrument zur Gymnastizierung und Versammlung
Viele Wege
Sie suchen den einen Weg, um Ihrem Pferd das Schulterherein an der Hand beizubringen? Kurzgefasst lässt sich sagen: Den Königsweg gibt es nicht. Aber je nach Anspruch und Können von Mensch und Pferd ergeben sich für die Ausführung des Schulterhereins die verschiedensten Möglichkeiten: Ob während der Freiarbeit leicht und tänzerisch gezeigt, am langen Zügel präsentiert oder aber an der Doppellonge. Am Boden lässt sich das Schulterherein auf vielfältige Art und Weise einüben und perfektionieren.
Körpersprache
Ganz zu Anfang steht: Eine klare souveräne Körperhaltung ist wichtig, kein Anschleichen an das Pferd, sondern minimale Bewegungen des Menschen unter Einhaltung der körperlichen Distanz zum Pferd.
Dieser wichtige Aspekt der Pferdeausbildung wird häufig unterschätzt und führt zu endlosen Diskussionen zwischen Reiter und Pferd. Das typische menschliche Verhalten „innere Verbundenheit zeigen und körperliche Nähe spüren wollen“, passt nicht in das Denkschema des Pferdes, das für sich einen klar bestimmten Platz in der Rangordnung beansprucht, um sich wohlfühlen zu können.
Ein unerbetenes Nähern eines Pferdes ist immer verbunden mit einem Verdrängen-wollen, um so in der Hierarchie ein kleines Stück nach oben zu gelangen. Die typische Situation: Das Pferd drückt mit der inneren Schulter gegen den Menschen. Auf keinen Fall darf nun ein unelegantes Kräftemessen durch gegenseitiges Schieben und Drücken erfolgen, indem sich der Mensch seinerseits in körperlicher Schräglage gegen das Pferd stemmt.
Klare Ziele:
Bereits bei der ersten Vorübung zum Schulterherein, dem einfachen Führen des Pferdes geradeaus, sollte man also klare Ziele vor Augen haben:
1. Ich weiß genau, wo ich hin will!
2. Ich bewege mich so wenig wie möglich!
3. So verführerisch auch die Leckerlis in meiner Tasche riechen, mein Pferd bleibt auf Abstand.
Eine Armlänge Abstand hat für Mensch und Pferd nur Vorteile. „Ein sehr wichtiges Kriterium für die Handarbeit bildet die strikte Beibehaltung des gewählten Abstands zwischen Ausbilder und Pferd. In der Regel sollte er durch die Führzügellänge bestimmt werden“, schreibt Kurt Albrecht.
Der Hauptgrund für diesen Abstand sei die dadurch geschaffene Möglichkeit, ständig das Gesamtpferd im Auge behalten zu können, so Albrecht.
Führen
Wer schon einmal die Vorführung der Wiener Hofreitschule gesehen hat, wird sich vielleicht erinnern, wie souverän und sorgfältig die Bereiter ihre Körpersprache zelebrieren. Das Führen in einem genau bestimmten Schritttempo von rechts und links, inklusive der Übergänge Schritt – ruhiges geschlossenes Halten – Schritt muss gelingen, bevor man mit den seitwärtsrichtenden Übungen beginnen kann. Besonders dem entspannten Halten fällt eine große Bedeutung zu (Sammlung / Konzentration –> Versammlung)
Fotostrecke: Führen des Pferdes
An Gerte gewöhnen
Dies ist auch der richtige Zeitpunkt, das Pferd an die Gerte zu gewöhnen. Die Gerte weist hierbei mit der Spitze in Richtung Pferdeknie und wird auf dieser Höhe parallel zum Pferdeleib gehalten – als vortreibende und/oder seitwärtswirkende Hilfe.
Durch das Hindrehen zum Pferd wirkt man zum einen körpersprachlich bremsend, zum anderen hat man sogleich die Hinterbeine des Pferdes im Blick. So kann der Ausbilder sofort ins Halten hinein die Beine in Höhe der Fessel – falls nötig – touchieren, dass das Pferd geschlossen steht. Die Stimmhilfe mit stets gleichem Wortlaut und Klang nicht vergessen!
Insbesondere nervöse Pferde gilt es hier stets zu beruhigen und keineswegs durch zu laute Stimmhilfen oder die eigene körperliche Unruhe zusätzlich für Stress zu sorgen. Gerade das ruhige Halten ist besonders wichtig, wenn eine besonders harmonische und korrekte Ausführung des Schulterherein gewünscht wird. Die Liebe zum Detail, gerade in diesen kleinen Übungen zahlt sich aus.
So kann man bei Fritz Stahlecker, der Pferde bis zum Weltklasseniveau ausbildet und einen großen Teil seiner Arbeit mit den Pferden an der Hand absolviert, lesen: „Ein Pferd, das Schulterherein vollendet geht und gelernt hat, zu piaffieren, ist ganz in die Hand des Reiters gestellt. Ihm werden von dieser Grundlage ausgehend, alle übrigen Lektionen in den Schoß fallen“
Arbeit auf dem Kreis
Wenn das Führen und Halten geradeaus in beliebigem Schrittempo klappt, und auch die eigene souveräne Körperhaltung mit genügend Abstand zum Pferd funktionieren, ist es an der Zeit die Arbeit auf dem Kreis anzugehen.
Je nach Temperament und Geschmeidigkeit des Pferdes wählt man einen Kreis aus, auf dem man zunächst gleichmäßig, d.h. rund in regelmäßigem Takt bei konstanter Biegung des Pferdes geht, ähnlich einem Longieren auf kleinstem Raum.
Probleme? Checkliste abarbeiten
Allein schon die leichte Innenstellung des Kopfes ohne Verkleinerung der Figur ist für manche Pferd /Mensch – Konstellationen schwierig. Neben dem auf die innere Schulter werfen, Außenstellung einnehmen oder gegen den Menschen drängeln, gibt es auch Pferde, die übertrieben über die Hinterhand ausfallen oder sich nach rückwärts-außen entziehen. Auch hier gilt wieder: Zuerst die Rangordnung klären, d.h. allerdings keinesfalls „Auf in den Kampf!“ sondern Aufruf der Checkliste im Kopf: Ist die eigene Körperhaltung angemessen? Zu forsch? Zu zögerlich? Zuviel / zuwenig Abstand vom Pferd? Habe ich eine klare Vorstellung von der gewünschten Linie? Bin ich auf der richtigen Position im Raum? Und ganz wesentlich ist die Frage: „Wo stehe ich?“ Je größer die Schwierigkeiten, desto weniger Platz braucht man zunächst, was all jene trösten soll, denen keine tolle Reitbahn zur Verfügung steht.
Bei Pferden, die übertrieben mit der Hinterhand ausweichen, sollte man nicht versuchen, durch Kopf hereinziehen das Pferd bei sich zu behalten, sondern aus dem Halten das Pferd mit der inneren Schulter weichen zu lassen und so die Bewegung auf eine Kreislinie zu bringen, ohne die Halsstellung aufzugeben.
Dann sucht man möglichst unauffällig die nächste Ecke der Reitbahn auf, wo man zumindest an zwei Seiten die Hinterhand des Pferdes durch die Bande / den Zaun begrenzen kann. Besonders anschaulich erklärt Bent Branderup, Verfechter der akademischen Reitkunst, den Sinn und den Ablauf der ersten Übungen auf dem Kreis: Diese erste Phase findet noch vor dem Anreiten, ja sogar vor dem Anlongieren statt. Branderup beschreibt detailliert die ersten Übungen zur Formgebung Pferdes im Hinblick auf die Stärkung des Rückens mit dem Ziel, das Pferd in die Lage zu versetzen, den Reiter zu tragen, ohne Schaden zu nehmen. Das auf Kappzaum gezäumte und an der Longe gehaltene Pferd soll zuerst im Halten auf kleine Paraden hin den Hals abbiegen.
Wichtig ist hier, dass die Biegung nicht festgehalten wird, sondern leicht eingenommen wird. D.h. die Longe pariert, annehmen, nachgeben, ohne Dauerzug am Kappzaum zu entwickeln. Die Biegung soll vom Genick ausgehend bis zur Hüfte durchgehen, das Pferd darf nicht mit der Hinterhand nach außen wegtreten, sondern sollte im Gegenteil mit der inneren Hüfte nach vorne kommen. Nur mit einem gelösten Hals kann das Pferd losgelassen mit dem Hinterbein zum Schwerpunkt treten. Wenn das Pferd an der Hand fest wird, tritt die Hinterhand nicht nach vorn unter, sondern nach hinten, vom Schwerpunkt weg. Hier erfolgt das erste Antreten auf ein Signal mit der Gerte, die Branderup in Höhe der Schenkellage anlegt, um das Pferd auf den späteren Schenkeinsatz des Reiters vorzubereiten.
Das innere Hinterbein tritt daraufhin in Richtung Schwerpunkt, etwa lotrecht unter die Sattellage.
Vorteile Kappzaum
Ein eventuelles Ausfallen der äußeren Schulter wird durch das Einfangen der Schulter durch die über die äußere Schulter geführte Longe verhindert.
Gerade für die Grundausbildung des Pferdes bietet sich nach den ersten Vorübungen am Halfter die Verwendung eines Kappzaumes an, wie es verschiedene Ausbildern praktizieren. Der Vorteil: Eine präzisere Einwirkung wird ermöglicht, weil er besser am Kopf anliegt, er verrutscht nicht so schnell wie ein Halfter. Andererseits kann man sich im Notfall hinreichend Respekt verschaffen, ohne das Pferd im Maul zu verderben, wie es in Konfliktsituationen im Anfangsstadium bei Verwendung einer Trense der Fall sein könnte.
Denksport
Pferde, die dazu neigen, gegen den Menschen zu drängeln, schickt man energisch treibend von sich weg. Es darf ruhig eine Runde Trab oder Galopp sein, wobei dieses Manöver nicht so ausgelegt werden darf, dass das Trainingsziel aus den Augen verloren geht! Wir wollen ja nicht antraben oder angaloppieren üben, sondern Schulterherein. Gerade das Analysieren der entstehenden Situationen machen hier den Reitsport zum Denksport. Immer wieder mit sich selbst kritisch zu sein: „Gebe ich eine klare Anweisung? Stehe ich richtig zum Pferd? Halte ich die gewünschte Linie genau?“ führt auf Dauer zum Erfolg.
Wenig Energieaufwand
Die gewünschten Übungen gelingen mit immer weniger Aufwand an Hilfengebung. Man sollte immer versuchen, mit geringstmöglichem Energieaufwand der zur Verfügung stehenden Einwirkungsmöglichkeiten auszukommen. Bei einigen Pferden genügt schon die Idee von der waagerecht gehalten Gerte, bei anderen hilft die als Schenkelersatz in der Gurtlage angelegte Hand, oder ein pieksender Finger. Auch die am Pferdekopf gegen die Wange stupsende Führhand oder ein kurzes Anlegen der Gerte an die Schulter kann helfen, das drängelnde Pferd auf Abstand zu halten. Wichtig ist, keine Hysterie zu entwickeln und gelungene Ansätze sofort zu loben.
Stimmkomando
Das Hereintreten des inneren Hinterbeins zum Schwerpunkt auf dem Kreis kann jetzt schon mit einem eindeutigen Stimmkommando belegt werden, z.B. „Seite“. Wichtig ist es, das Pferd langsam arbeiten zu lassen, damit es in Ruhe seine Beine sortieren kann. Auch auf eine gleichmäßige Linienführung und nicht zu starkes Abstellen des Kopfes ist zu achten. Sensible Pferde oder übereifrige Menschen produzieren häufig ein zu steiles, schräges von der Linie abweichendes Ausbrechen der Hinterhand. Weniger ist mehr! In diesem Falle den Blick von der Hinterhand weg nehmen, Gerte sinken lassen und das Pferd über die innere Schulter den Kreis vergrößern lassen.
Vom Kreis auf die Gerade
Wenn das Übertreten auf dem Kreis gut funktioniert, geht man auf die gerade Linie über.
Hier zeigt sich, wer die Vorübungen sorgfältig erarbeitet hat. Ein zu eiliges Pferd, welches den Menschen sozusagen überholt und sich nicht gut anhalten lässt, wird im weiteren Verlauf, besonders wenn es an die Ausführung im Trab geht, schwer zu händeln sein.
Einsatz von Hilfszügeln
Je nach Geschick und Anspruch des Menschen aber auch in Abhängigkeit von den Proportionen Mensch / Pferd sowie dem Temperament aller Beteiligten ist es durchaus möglich, mit verschiedenen Hilfszügeln zu arbeiten. So kann man zur genauen Halseinstellung Dreieckszügel, Ausbinder oder auch eine Kombination beider Zügel verwenden. Je nach Empfindlichkeit des Pferdes schnallt man entweder in den Kappzaum oder das Trensengebiß. Immer sollte man sich vor Augen halten, dem Pferd die Arbeit so angenehm wie möglich zu gestalten. Je feinfühliger das Pferd reagieren soll, um so vorsichtiger sollte man in der Wahl und Anwendung der zur Verfügung stehenden Mittel sein.
Die Wahl der Mittel ist letztendlich eine Frage von Geschmack und Moral. Wie wir sehen konnten, gibt es die Möglichkeit, weitgehend minimalistisch zu arbeiten, siehe Hempfling / Branderup, es gibt jedoch durchaus Größen des Reitsports, die auf präzises Einstellen mittels Hilfszügel nicht verzichten wollen. So sei hier nochmals Kurt Albrecht zitiert, der das schreibt: „Eine Handarbeit mit einem nicht ausgebundenen Pferd ist wertlos. Sie verleitet nur zu Ungehorsam und Widersetzlichkeiten“. Gerade für die Arbeit auf gerader Linie kann es für Pferd und Mensch einfacher sein, mit Hilfszügeln zu arbeiten, besonders dann, wenn man noch damit beschäftigt ist, die eigenen Körperbewegungen zu koordinieren.
Zunächst ist es einfacher, das Pferd auf der Außenseite führend mit dem Kopf gegen die Bande / Zaun das Schulterherein ausführen zu lassen. Die optische Begrenzung hindert das Pferd, den gewohnten Kreisbogen um den Menschen einzuschlagen. In der Regel wird das auf dem Kreis vorbereitete Pferd problemlos sofort wie gewünscht übertreten. Indem sich die Führperson gut auf die zu gehende Linie ausrichtet, genügend Abstand vom Pferd hält und bis auf einige Kontrollblicke auf die Hinterhand geradeaus schaut, sind alle Weichen für die nächsten Schwierigkeitsgrade gestellt.
Ist es zu einem Einvernehmen über den neuen Bewegungsablauf gekommen, versucht man im nächsten Schritt auf einer geraden Linie ohne die Begrenzung vor dem Kopf des Pferdes das Schulterherein zu festigen. Gut dargestellt wird dieser Bewegungsablauf von Richard Hinrichs, dem wohl bekanntesten deutschen Ausbilder der klassischen Reitkunst, in seinem Video und Buch „Pferde schulen an der Hand“. Auch Hinrichs weist nachdrücklich darauf hin, dass durch die korrekte Körperhaltung und die Einhaltung des Abstandes das Rangordnungsverhältnis klar dargestellt sein muß. Der Mensch soll bei relativ ausgestreckten Armen und nicht defensiv eingezogenem Bauch mit sparsamen Gesten unter Zuhilfenahme der Stimme das Pferd führen. Sehr wichtig ist ihm auch das klare, innere Bild der zu absolvierenden Lektion, sowie die Selbstsuggestion von Wohlbefinden, da diese beiden Faktoren maßgeblich zum Gelingen der Übung beitragen können.
Drei und vier Hufschläge
Deutlich unterschieden wird das Schulterherein auf vier Hufspuren, mit Kreuzen der Hinterbeine nach seinem „Erfinder“ Francois Robichon de la Guérinière, von dem auf drei Hufspuren, ohne Kreuzen der Hinterbeine. Sicherlich macht es Sinn, bewusst die verschiedenen Ausführungen zu verlangen, auch um die eigene Fähigkeit, das Pferd exakt führen zu können, zu testen. Wer Spaß an den verschiedenen Variationen hat, wird dann auch fast zwangsläufig den Ehrgeiz entwickeln, sich an den nächsthöheren Anforderungen zu versuchen.
Zum einen ist es nun möglich, statt ausgebunden auf Kappzaum oder ganz frei auf Halfter nun auch mit der Trense oder Kandare ohne weitere Hilfszügel zu arbeiten, zum anderen gibt es ja auch noch andere Gangarten als den Schritt.
Arbeit auf Trense
Die linke Hand in den linken Trensenring, die rechte nimmt den rechten Trensenzügel, der über dem Widerrist verlaufend ebenfalls auf der linken Halsseite hängt, sowie die Gerte auf. Ganz nach Geschmack kann die rechte Hand auch so tief und rückwärtig geführt werden, dass man das Pferd mit den Fingerspitzen in der Schenkellage pieksen kann. Wie zuvor begünstigt die Stellung seitlich mit Abstand zujm Pferd ein Beobachten des Bewegungsablaufs, wobei man allerdings darauf achten muss, auf seiner eigenen Linie klar geradeaus zu gehen. Durch stetiges Nach-hinten-Schauen lädt man das Pferd geradezu ein, auszuweichen, hereinzudrängeln oder einen Kreis um einen herum zu gehen.
Auch das andere Extrem, dass der Mensch das Pferd förmlich zwischen sich und der Bande / Zaun einklemmt, muss vermieden werden. In beiden Fällen kann es passieren, dass das irritierte Pferd die Flucht nach vorn ergreift. Auch das Pferd in die korrekte Haltung zu bringen, kann sich als schwierig erweisen.
Korrekte Haltung des Pferdes
Das Pferd muss vorher gelernt haben, das Gebiss anzunehmen, willig Paraden durchzulassen und sich leicht mit dem Hals in die gewünschte Abstellung bringen zu lassen. Gelingt dies noch nicht, sind entsprechende Vorübungen im Halten nötig. Leichtes Stellen nach rechts und links sowie die korrekte Anlehnung müssen zunächst im Halten gelingen.
Arbeit auf Kandare
Im besonderen Maße gilt dies natürlich für die Arbeit mit der Kandare. Diese komplexe Zäumung dient eben nicht dazu, dem Menschen den Umgang mit schwierigen Pferden zu erleichtern oder Durchlässigkeit zu erzwingen, sondern es handelt sich um ein Präzisions-Instrument, das durch seine aufrichtende (Trense) und tief-rund einstellende (Kandare) Wirkung noch mehr Feingefühl verlangt, als die bisher ausgeführten Arbeiten.
Fillis-Führung
Auch hier gibt es verschiedene Variationsmöglichkeiten der Führung:
1. Die Fillis Führung, die häufig bei Richard Hinrichs Verwendung findet, am Beispiel des Führens auf der linken Hand: Die linke Hand greift den Trensenzügel von oben nach unten, durch die ganze Faust geführt, den Kandarenzügel von unten nach oben ebenfalls durch die ganze Faust. Durch die getrennt geführten Zügel kann man durch Drehen der Faust mehr Anlehnung an die Kandare (= Beizäumung) oder mehr Anlehnung an das Trensengebiß ( = mehr Aufrichtung) aufnehmen. Die rechten Zügel laufen ungeteilt über den Widerrist auf der linken Halsseite in die Hand. Der Vorteil ist, dass man seine gewohnte Führposition nicht verändert, der Nachteil liegt darin, dass das Kandarengebiß von zwei Händen geführt wird, d.h. durch die weit voneinander entfernt führenden Hände und die sehr unterschiedliche Handhaltung braucht man sehr viel Feingefühl und Geschick, um nicht das Stangengebiß im Maul zu verkanten und so mehr Schaden als Nutzen zu erzielen.
Kandaren-Zügel in einer Hand
2. Eine andere Möglichkeit ist die Führung auf Kandare wie bei Fritz Stahlecker: Ihm ist besonders wichtig, dass das Kandarengebiß von einer Hand geführt wird. Die heute zumeist praktizierte geteilte Zügelführung, d.h. je ein Kandarenzügel in jeder Hand, lehnt er strikt ab, da sie den erfinderischen Sinn der Kombination von Trense und Stange verfälscht. Eine sehr feine und symmetrische Führung gelingt seiner Meinung nach nur, wenn die Kandare mit zwei Fingern einer (bevorzugt der linken) Hand geführt wird. Sehr genau wird diese grundsätzliche Handhabung der Kandare auch von Bent Branderup geschildert, der diesem Thema ein ganzes Buch mit dem Titel „Reiten auf Kandare“ gewidmet hat.
Führpositon neben dem Pferd
Doch nun zurück ans kandarengezäumte Pferd!
Ein geklärtes Rangordnungsverhältnis muss hier als selbstverständlich vorausgesetzt werden, denn die Führposition ändert sich an diesem Punkt der Arbeit. Am Beispiel der linken Hand: Der Mensch geht an der Seite des Pferdes, etwa auf Höhe der Hüfte, die rechte Hand liegt auf dem Rücken auf und hält den Kandarenzügel mit dem Zeigefinder, die linke Hand fasst den Trensenzügel und Gerte. Die Anlehnung soll möglichst leicht sein. Durch den auf dem Rücken aufliegenden Arm, die gertenführende Hand und den eigenen Körper kann man das fein abgestimmte Pferd so in perfekter Haltung arbeiten, ganz klar sei nochmals gesagt, dass für diese Führposition schon einige Erfahrung im Umgang mit der Kandare vorauszusetzen ist. Die Führposition weiter hinten und sehr nah am Pferd, kombiniert mit dem Anlegen der Arme oder der gertenführenden Hand setzt voraus, dass der absolute Gehorsam bereits erarbeitet ist.
Gerade diese Nähe zum Pferd ist es jedoch, die zum einen bei gelungener Ausführung besonders viel Spaß macht und dem Betrachter ein entsprechend elegantes, harmonisches Bild einer Einheit von Mensch und Pferd vermittelt.
Langer Zügel
Wer jetzt denkt, wir sind am Ende der Möglichkeiten, soll sich getäuscht sehen, denn es gibt ja noch den langen Zügel!
Viele Institute verwenden den langen Zügel, um besondere Showeffekte zu erreichen. Kaum eine Hengstparade ohne langen Zügel, wieder zu nennen ist die Wiener Hofreitschule sowie die Vorführungen von Richard Hinrichs mit dem Pferd Girassol. Leider ist es so, dass sich viele Pferdebesitzer kaum an den langen Zügel heranwagen. Gerade damit jedoch kann man ein Pferd besonders gut und schonend ausbilden, wofür an dieser Stelle wieder die Pferde von Fritz Stahlecker und seiner Tochter Ulrike Stadlmeyer den Beweis antreten, die sehr schonend durch eine Frühprägung ab dem zweiten Lebensjahr zunächst ausschließlich reiterlos, d.h. am langen Zügel alle Lektionen bis zum Grand Prix-Niveau erlernen, um dann schon in jungen Jahren mit einer an Leichtigkeit und Ausstrahlung kaum zu überbietenden Manier auch in den schwierigsten Turnierprüfungen erfolgreich zu bestehen.
Die Arbeit am langen Zügel erfordert selbstverständlich ein gewisses Maß an Vorbereitung, deren Beschreibung den hier vorgegebenen Rahmen sprengt. Allen Interessierten sei hier die vorhandene Literatur der diversen Autoren wie Fritz Stahlecker, Philippe Karl und Richard Hinrichs empfohlen.
Ausrüstung Langer Zügel
Bezogen auf unser Thema Schulterherein ergibt sich wieder eine Vielfalt in der Verwendungsmöglichkeit der diversen zur Verfügung stehenden Ausrüstungsgegenstände.
Die einfachste und für das Pferd zunächst angenehmste Variante ist sicherlich die Verwendung eines Kappzaumes, über den die gewünschte Halseinstellung mittels der Ausbinder und / oder Dreieckszügel produziert wird. Die Vorteile liegen darin, dass hier die langen Zügel an der Seite des Pferdes anliegend als seitwärtstreibende Hilfe eingesetzt werden können, ohne am Kopf des Pferdes zu stören.
Doppellonge
Eine weitere Variante ist die Verwendung einer Doppellonge mit Umlenkrollen: Dieses System wird sehr effizient von Philippe Karl eingesetzt. Mit dem Verschnallen der Doppellonge über Umlernkrollen kann man die Halshaltung des Pferdes bestimmen und gleichzeitig die Hinterhand mit den Zügeln einrahmen. Die Führposition kann seitlich neben dem Pferd oder auch hinter dem Pferd sein, da man direkt mit dem Pferdemaul verbunden ist und auch hier vorausgesetzt, dass das Pferd perfekt auf die Stimme und Hilfengebung des Menschen reagiert.
Flaschenzugeffekt
Es sollte berücksichtigt werden, dass die Umlenkrollen einen Flaschenzugeffekt hervorrufen und die Einwirkung auf den Pferdekopf entsprechend scharf ist.
Führpositionen
Die möglichen Führpositionen sind:
1. Das Gehen neben der inneren Hüfte des Pferdes. Hier nimmt man die äußere Leine über den Pferderücken zur inneren Hüfte. Die innere Leine wird zur Einstellung des Halses verwendet, gleichzeitig kann die innere Hand wieder in der Position des Reiterschenkels einwirken. Ein Vorteil ist, dass man in dieser Position relativ sicher vor einem möglichen Ausschlagen des Pferdes ist. Nachteil ist, dass die Longe nicht dazu benutzt werden kann, das äußere Hinterbein zu begrenzen.
2. Geht man hinter dem Pferd, so hat dies den Nachteil, dass man sich außerhalb des Blickwinkels des Pferdes befindet, eine Position, die besonders, wenn man relativ nahe am Pferd geht, viel Vertrauen fordert. Wählt man hingegen einen großen Abstand zum Pferd, ist die Gefahr, einen Tritt abzubekommen geringer, allerdings wird durch die Länge der Zügel die exakte Führung schwieriger. Bei dieser auch von Gehrmann (ehem. Leiter der Landesreitschule Rheinland, Video Doppellonge) praktizierten Version ist die Belastung des Pferdemauls besonders hoch, wenn nicht ein enormes Können der Führperson gegeben ist. Besonders bei der Abfrage der Lektion im Trab oder sogar Galopp sollte man dies unbedingt berücksichtigen.
Dem Könner ist die Führung am langen Zügel ohne jegliche Hilfsmittel vorbehalten. Für diese Art zu führen spricht natürlich der ästhetische Aspekt und die Freude, einem hohen Anspruch gerecht zu werden. Als Zäumung eignet sich entweder ein schlanker iberischer Kappzaum oder eine Trense, z.B. eine Schenkeltrense (Knebeltrense), wodurch ein seitliches Herausziehen des Gebisses vermieden wird. Die genaue Beschreibung der Hilfen ist sehr komplex, da die Einwirkungsmöglichkeiten sehr eingegrenzt sind.
Wiener Führung
Eine sehr feine wechselseitige Abstimmung von Pferd und Mensch ist Grundvoraussetzung, um aus dieser Position eine exakte Stellung, Biegung, Richtung, Tempo und Takt bestimmen zu können. Man kann entweder sehr nah hinten an der Pferdekruppe gehen und die Hände auf der Kruppe ablegen, wodurch man durch den Druck der Hände an der Kruppe einwirken und gleichzeitig die Hände etwas abstützen kann. Besonders elegant ist die Wiener Führung, bei der man schräg seitlich hinten am Pferd geht und beide Zügel auf eine Seite des Pferdes hält, der äußere führt über den Widerist in die Hand. Die Handhaltung ist ähnlich der beim Reiten. Da die Hände frei getragen werden, ist es besonders schwierig, eine ruhige Anlehnung herzustellen. Da der äußere Zügel nur am Maul und am Verlauf über dem Widerrist das Pferd berührt, sind die Einwirkungsmöglichkeiten noch weiter eingeschränkt. Wer sein Pferd so in schöner Anlehnung korrekt präsentieren kann, hat bereits einiges erreicht.
Hat man die Lektion Schulterherein im Schritt in der zunächst ausgewählten Führposition sicher erarbeitet, kann man in den Trab, am langen Zügel auch in den Galopp übergehen. Spätestens dann ist der Spaß an der Arbeit am langen Zügel und an der Hand so groß, dass das Bedürfnis geweckt sein wird, auch andere Lektionen auf diese Weise zu erarbeiten.
Von der Bodenarbeit zum Reiten
Ein an der Hand vorbereitetes Pferd wird die geforderte Lektion auch unter dem Sattel mit deutlich weniger Schwierigkeiten erlernen, da es bereits die Stimmhilfe, Zügelhilfe am Maul und durch Hand Gerte wie angelegten Zügel und auch die Schenkelhilfe schneller zuordnen kann.
Einige Führpositionen eignen sich dazu, einen Reiter aufsitzen zu lassen und so dem Pferd die reiterlichen Hilfen zu verdeutlichen. Die Führperson gibt die gewohnten Hilfen, der Reiter die seinigen, so dass das Pferd zumeist gleich bei den ersten Versuchen richtig reagiert. Auch zur Korrektur schwieriger Pferde oder der Verbesserung der Lektionen eignet sich die Kombination von Führperson, Reiter und Pferd. Besonders einfach funktioniert die Führposition bei der das Pferd am langen Zügel auf der Innenseite mit über dem Widerrist geführten äußeren Zügel geführt wird und es ansonsten über den Kappzaum ausgebunden geht. Der Reiter führt normal über die Trense, Schenkel und Gewicht sein Pferd in das Schulterherein, die FP führt wie beschrieben das Pferd.
Dem Thema Seitengänge haben wir im Jahr 2006 ein eigenes Heft gewidmet, welches als Einzelheft vergriffen, aber in unserem Sammelband 2006 enthalten ist.