Mit einem handfesten Skandal um sexuellen Missbrauch und Alkoholexzesse muss sich die Deutsche Reiterliche Vereinigung (FN) auseinandersetzen.Nach einem Bericht des Nachrichtenmagazins „Der Spiegel“ sollen junge Reiter aus dem Nationalkader der Springreiter Mädchen sexuell missbraucht haben. Der Bericht ist bei Spiegel online nur gegen Gebühr lesbar. Die jungen Männer sollen die Mädchen mit Alkohol und sogenannten K.O.-Tropfen gefügig gemacht haben. Es ist ein ganz düsteres Bild, das der Spiegel von den Nachwuchsreitern im Springsport zeichnet: Viel Geld, viel Alkohol, viele Exzesse in einer verschworenen Gemeinschaft oder wie es der Spiegel ausdrückt: „Denn das sind die Regeln; Reite schnell, spring hoch, sprich nicht über den Dreck. Es lebe der Sport.“
Besonders ein massiver Alkoholkonsum der jungen Reiter führe zu Problemen: Keine Turnierparty, ohne dass der Alkohol in Strömen fließe. Die Verantwortlichen wiegelten eher ab, täten dies als ein normales über die Stränge schlagen bewerten. Zumal dann auch noch vom derzeitigen FN-Präsidenten Breido Graf zu Rantzau die Geschichte kolportiert wird, er sei beim Reiterball 1989 in München stark angetrunken auf den Tisch gestiegen und habe in ein Glas uriniert. Das habe die FN aber dementiert, so ist im Spiegel-Artikel nachzulesen: „Dazu stellt der Verband heute richtig, dass Rantzau mitnichten auf, sondern unterm Tisch ins Glas uriniert, das Glas sodann persönlich entsorgt und sich später in aller Form entschuldigt habe.“
Betroffene Mädchen, die Übergriffe berichten, würden als Nestbeschmutzer empfunden und als „Lügner“ tituliert. Einer ganzen Reihe von Fällen ist das Reporterteam nachgegangen. Sie haben offenbar alle eines gemeinsam: Die Reaktion der FN-Verantwortlichen erfolge gar nicht oder wenn, sei sie erst sehr spät erfolgt. Dazu gehöre auch ein Fall, der sich beim diesjährigen Turnier in Hagen zugetragen haben soll. Eine junge Springreiterin aus Rheinland-Pfalz wird nachts um drei bewusstlos neben den Festzelt aufgefunden. Mit dem Verdacht einer Alkoholvergiftung wird sie ins Krankenhaus eingeliefert. Doch am nächsten Morgen sei sie wieder fit gewesen. Sie habe nur ein Glas Weinschorle getrunken, danach habe sie einen Flimriss gehabt. Wie der Fall weiter lief, beschreibt der Spiegel so: „Ihre Familie schrieb später dem Landesverband Rheinland-Pfalz, sprach aus, was sie vermutete. K.-o.-Tropfen. Doch der Bundesverband wollte den Fall nicht an sich ziehen, und auch der Landesverband gab sich nicht allzu viel Mühe, der Sache auf den Grund zu gehen. Stattdessen wurde die Nachwuchshoffnung für die Deutschen Meisterschaften gesperrt, weil sie am nächsten Morgen, zurück aus dem Krankenhaus, nicht mehr geritten war.“
In einer ersten Stellungnahme von gestern (31. August 2018) verurteilte FN-Generalsekretär Soenke Lauterbach „sexualisierte Gewalt aufs Schärfste“. Bisher sei ein Fall eines jungen Springreiters bekannt geworden, der durch die FN-Disziplinarkommission verhandelt worden sei. Hier sei eine 18-monatige Sperre ausgesprochen worden. Der Fall sei noch nicht rechtskräftig. Die Unterlagen lägen nun der zuständigen Staatsanwaltschaft in Münster vor. Doch wie der Sportinformationsdienst (sid) gestern berichtete (basierend auf dem Spiegel-Artikel), nominiert Bundestrainer Otto Becker den jungen Reiter auch weiterhin für Turniere. FN-Geschäftsführer Dennis Peiler erklärte, dass sich der Bundestrainer in dem Fall für „den sportfachlichen Weg“ entschieden habe. Heute erklärte Soenke Lauterbach, dass bis zum rechtskräftigen Urteil der unter Verdacht stehende Reiter nicht mehr über das Kontingent des Bundestrainers nominiert werde. Weiter sagte er bei der heutigen Pressekonferenz in Warendorf, dass es eine Gruppe junger Reiter gebe, die sich teilweise massiv daneben benehmen würde. Dies sei aber „kein strukturelles Problem des Reitsports“. In den vergangenen Jahren habe es zwei Fälle gegeben, in denen FN-Verfahren wegen exzessivem Alkoholgenuss geführt worden wären. Die Vorfälle hätten sich jeweils im Rahmen von Turnieren ereignet.
Die FN kooperiert seit dem Jahr 2011 mit dem Verein „Zartbitter“, um zum Thema sexuelle Gewalt im Reitsport aufzuklären und präventiv tätig zu werden. Unter anderem ist einmal pro Woche für eine Stunde eine Handynummer erreichbar, wo Mitarbeiterinnen von Zartbitter Betroffene aus dem Reitsportbereich beraten (Jeden Donnerstag, 17-18 Uhr unter 0171/ 2138 631). In einer Stellungnahme gegenüber dem Spiegel zeigte sich deren Vorsitzende, Ursula Enders, ernüchtert: „Wir müssen überlegen, wie viel Sinn eine Kooperation überhaupt noch macht, Mann kann nur hoffen, dass die Reiterliche Vereinigung nun wachgerüttelt wird.“ In ihrer heutigen Erklärung zeigt sie sich verhaltender und weist auf ein weiteres Problem hin: „In den meisten Zartbitter bekannt gewordenen Fällen, waren die Tatorte privatwirtschaftlich betriebene Reitställe, die nicht Mitglied in der Reiterlichen Vereinigung sind. Die meisten Beschuldigten hatten keine Trainerlizenz. Die Reiterliche Vereinigung hat in diesen Fällen somit keine Sanktionsmöglichkeit.“
Ursula Enders fordert deshalb vom Gesetzgeber auch für Privatställe Auflagen zu entwickeln, damit hier Kinder und Jugendliche besser vor sexueller Gewalt geschätzt werden können. Zudem solle eine unabhängige Beschwerdestelle (Ombudsstelle) eingerichtet werden, an die sich Betroffene wenden können. Diese solle auch eine strukturierte Aufarbeitung leisten, um sexualisierte Gewalt in Kirchen, Schulen und Sportverbänden durch „strukturelle Präventionsmaßnahmen“ verhindern zu können.
Auf unserer Facebookseite haben sich einige Betroffene geäußert und schildern Vorfälle, die teils 40 Jahre zurückliegen. Sexueller Missbrauch im Reitsport ist also beileibe kein neues Phänomen. Um so wichtiger ist es, dass dieses Tabuthema jetzt öffentlich behandelt wird. #metoo_horsesport