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Plädoyer für eine faire Ausbildung

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft “Pferde ausbilden. Die H.Dv.12”, welches als E-Paper erhältlich ist.

Arthur Kottas-Heldenberg gehörte 43 Jahre der Spanischen Hofreitschule in Wien an und war über Jahrzehnte dort Erster Oberbereiter. Heute unterrichtet er Reiter in aller Welt. Für die Dressur-Studien hat er aufgeschrieben, was für ihn die wesentlichen Dinge sind, damit Pferde fair, harmonisch und korrekt ausgebildet werden können.

Das Pferd ist ein Partner und kein Sportgerät – diesen Grundsatz sollte kein Reiter aus den Augen verlieren, sondern immer beherzigen. Wenn ein Pferd unwillig wird oder wenn es gegen die Hilfen des Reiters geht, dann liegt das in 95 Prozent aller Fälle nicht etwa daran, dass das Pferd einen schlechten oder bösen Charakter hat, sondern es wurde vom Menschen dazu gemacht. Es versteht den Partner Mensch nicht und wird dann unter Umständen von aggressiven Reitern zu etwas gezwungen, was es schlicht nicht begreifen kann.

Arthur Kottas-Heldenberg. Foto: privat

Ein wesentliches Problem in diesem Zusammenhang ist für mich, dass in der heutigen Zeit viel zu wenig Wert auf einen unabhängigen Sitz gelegt wird. Nicht ohne Grund wird in der Spanischen Hofreitschule der korrekte Sitz in den Mittelpunkt der Reiterausbildung gestellt. Der ausbalancierte, richtige Reitersitz ist der Schlüssel für ein erfolgreiches und harmonisches Reiten. Dabei darf der Reiter nicht nur auf dem Pferd, sondern er muss im Pferd sitzen. Neben dem ausbalancierten Sitz gehört die Koordination der Hilfen dazu. Also das Zusammenspiel zwischen Kreuz-, Schenkel,- Hand- und Gewichtshilfen. Je nachdem kann ich hier aktiv und passiv einwirken. Geht ein Pferd beispielsweise nicht über den Rücken, dann muss ich es von hinten durch die entsprechenden Reiterhilfen schließen. Diese muss das Pferd allerdings erst einmal gelernt und verstanden haben. Das geht nur Schritt für Schritt. So wie ein kleines Kind auch alles langsam lernen muss, so muss auch das Pferd von einem gefühlvollen Reiter lernen. Dressurreiten bedeutet dabei ja nicht, dass ich von einem Punkt zum anderen mit mehr oder weniger Spannung reite, sondern vor allem, dass ein Reiter mit Gefühl reiten muss. Er muss fühlen, wann er mehr oder weniger treiben muss. Wie ist die Verlagerung des Gewichts und wie viel Kontakt brauche ich vorn?

Eine weitere, ganz wichtige Voraussetzung für die Pferdeausbildung ist der Respekt. Das Pferd muss mich respektieren. Aber ich muss auch das Pferd respektieren. Ich vergleiche das gern mit einer Partnerschaft. Wenn es hier keinen Respekt und kein Vertrauen gibt, dann ist das doch keine Partnerschaft, sondern nur ein gezwungenes Zusammensein. Wir dürfen nicht vergessen: Wenn wir ein junges Pferd in die Ausbildung bekommen und es bleibt gesund, dann sind wir mit ihm mindestens 20 Jahre oder länger zusammen. Und welche Partnerschaft hält denn heute noch so lange? Wenn ich jeden Tag mit meinem Partner Pferd Probleme habe, sodass ich laufend streite oder es mit falschen Sporenhilfen traktieren muss, dann stimmt doch etwas nicht! Das Pferd wurde nicht auf die richtigen Hilfen abgestimmt und nun werden von ihm Dinge verlangt, die es gar nicht verstehen kann.

Die Feinabstimmung der Hilfen bedeutet, dass das Pferd auf Schenkel, Sitzeinwirkung und Zügelhilfen des Reiters richtig antwortet. Das Pferd muss an die Hand herantreten. Ich vergleiche das gern mit einem Gummiband, mit dem ich ganz fein die Verbindung zum Maul herstelle. Das hat immer und für alle Pferde die selbe Gültigkeit: von der aktiven Hinterhand über den schwingenden Rücken in die Anlehnung zum Pferdemaul, zurück zur Hand des Reiters. Dies gilt für alle Pferde, ob das jetzt ein junges Pferd ist oder ob ich ein weit ausgebildetes Pferd habe. Ich sage bewusst nicht ein „fertig“ ausgebildetes Pferd, weil es „Fertigkeit“ in dem Sinne nicht gibt. Auch beim Menschen nicht. Wenn jemand behauptet, er sei so gut, dass er nichts mehr lernen müsse, dann befindet er sich schon auf einem absteigenden Ast.

Aber wir können uns stetig verbessern. Das gilt auch für ältere Reiter, selbst wenn wir dann nicht mehr die Geschmeidigkeit wie vor 20 Jahren besitzen, so haben wir doch viel Routine und Erfahrung, die sehr vorteilhaft sein kann.

Es kommt nicht auf die Quantität der Reiterei an, es kommt immer auf die Qualität an. Für mich gibt es nur zwei Arten von Reitern. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie Western, Dressur oder Vielseitigkeit reiten oder als Jockey auf der Rennbahn sind: Es gibt nur gute oder schlechte Reiter. Leider sieht man heute oft hervorragend gezüchtete Pferde, aber leider sehr, sehr mäßiges Reiten. Die Gründe dafür liegen in der zu schnellen Ausbildung.

Ich kann mich gut daran erinnern, wie Herbert Rehbein vor vielen Jahren einmal zu mir gesagt hat: „Arthur, du hast es ja einfach, dich drängt keiner in der Spanischen Hofreitschule.” Das ist richtig. Bei uns war immer – und das ist die Tradition – das Pferd der Maßstab, wie schnell es ausgebildet werden kann. Wie schnell es den Reiter verstanden hat und wie schnell es körperlich und geistig bereit ist. Dieses Grundprinzip gilt auch für den Reiter. Auch hier muss ich mich fragen: Ist der Reiter im Kopf und im Körper so weit, dass er das versteht, was er machen soll? Der Mensch muss sein Temperament kontrollieren können und dann wird er auch sein Pferd kontrollieren können. Wenn ich zu jähzornig oder zu hektisch bin, wenn ich mich gestresst aufs Pferd setze, dann spürt das Tier das. Das merkt das Pferd wie ein Partner. Wenn heute mein Partner gestresst, verärgert, traurig oder mit Problemen nach Hause kommt und man hat ein bisschen Gefühl, dann merke ich das natürlich. Und da ist es dann wichtig, wie ich dem Partner helfen kann, in dem Fall eben auch dem Pferd.

Es ist nicht ausschlaggebend, wie schnell ein Pferd ausgebildet wird, sondern es ist wichtig, dass Pferd und Reiter nicht die Zeit vergeuden. Ich muss also mit einem Ziel vor Augen ausbilden und reiten. Das gilt auch für einen Amateurreiter. Er darf sich nicht damit herausreden: „Ja, ich bin ja nur ein Hobbyreiter” – und deswegen kann er nicht sitzen. Mir ist ganz egal, wenn heute ein Autofahrer so ungeschickt ist und beim Ein- und Auskuppeln so viele Fehler macht, dass er vielleicht alle paar Monate das Auto in die Werkstatt geben muss – schließlich ist es nur ein Gegenstand. Aber wenn einer unfair dem Pferd gegenüber ist, weil er den Zügel nimmt, um sich festzuhalten, weil er keine Balance hat, weil er klemmt, weil er vielleicht ängstlich auf dem Pferd sitzt und deswegen klemmt, dann muss ich sagen: Da habe ich ein Problem, dem zuzusehen, ohne den Menschen, der mir da auffällt, zur Rede zu stellen. Meine Frage lautet dann: „Willst Du nicht erst einmal reiten lernen, bevor Du anfängst, Dein Pferd zu quälen?”

Tatsächlich glauben viele, wenn sie nur ein bisschen seitwärts reiten oder ihren Pferden ein paar Tricks beibringen, dass das Reitkunst sei. Doch das ist weit davon entfernt. Reitkunst ist für mich auch die Harmonie zwischen einem Tier und einem Menschen. Und das ist keine Selbstverständlichkeit. Das muss erarbeitet werden. Wir müssen darauf achten, dass unser Freund, unser Partner Pferd, mit uns auch zufrieden und glücklich ist. Und Glück für das Pferd bedeutet nicht nur viele Karotten füttern, es dafür aber nur selten zu arbeiten. Pferde sind Bewegungstiere: Sie brauchen Auslauf, korrekte Arbeit, sie müssen gymnastiziert und sinnvoll aufgebaut und ausgebildet werden.

Wenn ein Pferd schon sehr weit ausgebildet ist, dann soll ich nicht jeden Tag die Lektionen abfragen und laufend das Pferd drillen. Auch ein Sportler wird nicht jeden Tag bis zur Leistungsgrenze trainieren, auch er braucht Erholungsphasen. Ebenso wie das Pferd. Ich kann auch nur mal die Seele baumeln lassen, ins Gelände reiten, auch mit einem Dressur- oder Springpferd. Ständiges Lektionen Drillen ist für die Pferde frustrierend. Und wie heißt es so schön: „Ein Pferd ohne Reiter ist immer noch ein Pferd. Ein Reiter ohne Pferd ist kein Reiter mehr”.

An den Sportreitern wird heute viel Kritik geübt, gerade auch von den Amateurreitern. Doch bei aller möglichen berechtigten Kritik, manchmal habe ich schon das Gefühl, dass hier nicht immer fair kritisiert wird: Der Fuchs hat auch gesagt, die Trauben seien zu sauer, deshalb wolle er sie nicht. Aber nein, tatsächlich hingen sie ihm nur zu hoch, um an sie zu gelangen… In der Sportreiterei hat es immer schon Reiter gegeben, die mangelndes Wissen und Können durch Geld ausgleichen konnten, indem sie sich immer wieder neue, tolle Pferde kauften. Daneben gibt es eine ganze Reihe talentierter Reiter, die sich aus finanziellen Gründen kein so talentiertes Pferd leisten können. Dennoch sehen wir heute im Sport ganz tolle Leistungen.
Die größte Zahl der Pferde wird heute von Amateurreitern gehalten. Leider wird hier an der Basis oftmals viel zu schnell gearbeitet. Da dürfen unreife Reiter Lektionen reiten, für die sie noch gar nicht weit genug ausgebildet sind. Wenn allerdings die Grundlagen nicht stimmen, dann können auch keine weiterführenden Lektionen sinnvoll geritten werden. Wenn ein Haus auf Sand gebaut ist, fliegt es beim ersten Wind davon. Der Untergrund – die Basis – ist von enormer Wichtigkeit für die Ausbildung des Reiters und auch für die Ausbildung des Pferdes. Und das gilt für Amateur- und Sportreiter gleichermaßen.

Ich wünsche allen Reitern und Pferdeliebhabern viel Spaß mit ihrem Partner Pferd!

 

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft “Pferde ausbilden. Die H.Dv.12”, welches als E-Paper erhältlich ist.