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Glosse: Der kleine Guru-Guide

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Ist der Schein nur schön genug … Foto: Sadro Almir Imman/pixelio

Eigentlich erstmals am 13. März 2018 erschienen, schieben wir diesen Beitrag aus Gründen noch mal nach oben.

Gehören Sie noch zu den unauffälligen Reitlehrern? Oder verdienen Sie schon ein Vermögen? Falls Letzteres nicht der Fall ist, hätten wir hier eine kleine Anleitung für Sie. Zu Ihrem Glück befinden sich da draußen unzählige Reiterinnen und Reiter, die auf der ständigen Suche nach „der einen Wahrheit“ für sich und Ihr Pferd sind. Kein Wunder, bei den vielen verschiedenen Reitweisen: „Rotierendes Reiten mit Rudi Rüssel“, „Philosophieren mit deinem Pferd“ und nicht zu vergessen: „Mit Klangschalen zur Pferdemitte und zum ausbalancierten Reitersitz“ oder „Taktreines Piaffieren aus der Traumdeutung lernen“.

Sie sehen schon: Herkömmliches Reiten lernen ist völlig aus der Mode gekommen.

Und jetzt kommen Sie als potentieller Guru ins Spiel:

  1. Belästigen Sie Ihre Kundschaft nicht mit Sätzen wie: „Reiten lernt man ein Leben lang.“ Und streichen Sie die Vokabeln, Fleiß und Anstrengung bitte komplett aus Ihrem Vokabular – sonst werden Sie nie ein Guru.
  2. Sollten Sie die Fähigkeit zur Selbstreflexion besitzen: Vergessen Sie sie. Machen Sie sich auch keinerlei Gedanken über Ihr Vorleben. Für Ihren neuen Guru-Job spielt das keine Rolle. Selbst wenn Sie vorher Fliesenleger und kaum in der Nähe eines Pferdes waren: Jetzt sind Sie auf dem Pfad der reinen Erkenntnis. Und nur das zählt!
  3. Sie und nur Sie sind im Besitz der alleinigen Wahrheit und Erkenntnis! Kein anderer lebender Mensch auf diesem Erdboden – sicherheitshalber können Sie das auf das gesamte Universum ausdehnen – verfügt über Ihr Wissen und Ihre Fähigkeiten, um Pferde auszubilden.
  4. Nur keine Bescheidenheit! Ihren Dominanzanspruch beziehen Sie nicht nur auf die Ausbildung von Reiter und Pferd. Sondern sie verfolgen natürlich einen ganzheitlichen Ansatz. Nur wer bei Ihnen auf dem wahren Weg der reinen Reitererkenntnis ist, wird auch ein besserer Mensch sein.
  5. Verwirren Sie Ihre Anhänger nicht mit Fakten! Zurück zum Ursprünglichen lautet die Devise. Und was ist schon ursprünglicher als das „Bauchgefühl“? Kaum überprüfbar, dafür umso besser vermittelbar.
  6. Damit aber auch Sie nicht plötzlich von Ihren Anhängern oder gar Kritikern verwirrt werden können, schwören Sie jedweder Wissenschaft ab. Schließlich sind nur Sie der Hüter der bald schon vergoldeten Wahrheit. Fakten irritieren Ihre Anhänger nur!
  7. Ja, Sie werden Kritiker haben. Doch grämen Sie sich nicht. Diese „Kritiker“ sind nichts anderes als grünhäutige Grottenolme, die keine eigenen Erfolge haben, also vor Neid zerfressen sind und jetzt ausgerechnet Sie angreifen. Dabei wollen Sie doch nur die Pferde retten! Und so wird jeder Angriff auf Sie ein Angriff auf die Pferde. Sie und die Pferde auf der gesamten Welt sind: Opfer – genau!
  8. Sollte unter Ihren Kritikern doch einmal welche dabei sein, die tatsächlich vom Fach sind: Machen Sie sie lächerlich. Diffamieren Sie sie! Mindestens aber erklären Sie, dass diese verblendeten Tierquäler noch nicht bereit für Ihre „Wahrheit“ sind.
  9. Schotten Sie sich ab, sammeln Sie Ihre Anhänger um sich! Ob Sie dabei einen einsamen Berghof nahe der Zugspitze oder einen Reiterhof im Wattenmeer wählen – zur Not geht auch eine geschlossene Facebook-Gruppe. Machen Sie klar, dass Sie und alle Pferde (!) angegriffen werden – nichts stärkt mehr den Zusammenhalt. Und die Bereitschaft Ihrer Fans die Geldbörse zu zücken.
  10. Vermeiden Sie jedwede reiterliche Basisarbeit. „Kandare ans Pferd und Seitengänge bis zum Abwinken reiten“, muss Ihr Motto lauten. Falls Ihre Jünger damit nicht klar kommen, ist das nicht etwa Ihr Fehler, sondern – Sie ahnen es – dann ist Ihre Gefolgschaft noch nicht so weit. Doch da können Sie ja weiterhelfen: mit Büchern, Videos und Einzelunterricht.
  11. Update (aus gegebenen Anlass) vom 05.05.2022: “Reiten Sie ruhig grottenschlecht und in Rollkur-Manier. Verpassen Sie dem Gereit einen französischen Namen. So einfach lässt sich Scheiße zu Gold machen.”

 

Jetzt sind Sie der perfekte Guru! Und wenn das mit dem Reitunterricht nicht klappt, grämen Sie sich nicht. Es gibt so viele Themenfelder in der Reiterei, wo sich Pferdebesitzer über die wahre Erkenntnis freuen. Denken Sie nur an Sattler, Hufbearbeiter oder alternative Heilmöglichkeiten: Ihrem Erfindungsreichtum ist da quasi keine Grenze gesetzt. Viel Glück!

PS: Streichen Sie aber den “Natural-Dental-Hufbearbeiter” – der nach “indianischer Sitte” Pferdehufe benagt – schon mal von Ihrer Ideenliste: Den gibt es schon.

 

 

5 Responses

  1. Katrin
    | Antworten

    Mein persönliches Kopfschütteln-Highlight (abgesehen natürlich von dieser Sektenzentrale im Süden, in der jeden Tag Sonntag ist): „Wirbelsäulenaufrichtung mit ätherischen Baumölen“.
    Kein Quatsch! Kann man buchen!

  2. Monika Locher
    | Antworten

    Schmunzel…treffender kann es niemand beschreiben. Verlieren werden die Reitlehrerin und Trainer/innen aber nicht. Schlussendlich werden alle die gut reiten wollen, an sich arbeiten müssen, um gutes Reiten entlang der Ausbildungsskala zu erlernen und da sind die Gurus schnell mit ihrem Latein zu Ende. Monika

  3. Diana Herrlich
    | Antworten

    Sensationell geschrieben und auf den Punkt gebracht.
    Bin mal gespannt, wie lange es das “Reiten in Wahrheit” noch gibt, zumal ja jetzt schon das Springen in Wahrheit geritten wird
    Vielen Dank, liebe Frau Sanders, für die immer so wertvollen Recherchen und Informationen!

    • Unbekannt
      | Antworten

      Ich stimme ihnen voll und ganz zu!! Vielen Dank für den tollen Text. Jedes einzelne Wort davon ist wahr und ich danke ihnen für diesen tollen Text von Herzen.
      Ich hoffe das dass reiten in Wahrheit bald Geschichte ist und wieder das richtig reiten reicht geritten wird zum Wohle der Pferde.

  4. Dani
    | Antworten

    Sehr treffend und es ist tatsächlich wirklich wichtig, das immer mal wieder ins Bewusstsein der reitenden Mitmenschen zu rufen. Sonst richten Guru und Vermarkterin immer größeren Schaden an. Vielen Dank und weiter so.

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