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Auf dem Weg zur Versammlung: Hinterhandwendung und Kurzkehrt

Zum Thema Vor-Hinterhandwendung und Kurzkehrt haben wir mittlerweile ein eigenes Heft zu gemacht, das findet sich hier.

 

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft 2/2014: Von den (A)nfängen zum (L)eichten  Cover: Von den Anfänge zum Leichten

Hinterhandwendung und Kurzkehrt sind zwei eng miteinander verwandte Lektionen, mit denen sich jeder Dressurreiter, zumal mit Turnierambitionen, früher oder später befassen muss.

Bei beiden Lektionen soll das Pferd eine 180-Grad-Wendung der Vor- um die Hinterhand beschreiben. Oder, wie es Reitausbilderin und Buchautorin Kerstin Diacont aus dem hessischen Neu-Isenburg erklärt: „Hinterhandwendung und Kurzkehrt sind ein ‚Travers im Kreis beziehungsweise Halbkreis‘. Das äußere Vorderbein greift dabei vor dem inneren über.“ Einziger Unterschied: Während die Hinterhandwendung immer aus dem Halten geritten wird und auch mit einer ganzen Parade endet, wird das Kurzkehrt aus der Bewegung heraus ausgeführt. Weil das für das Pferd einfacher ist, gilt das Kurzkehrt auch als vorbereitende Lektion für die Hinterhandwendung.

Was sich zunächst einfach anhört, hat in der Praxis durchaus seine Tücken. Das Pferd muss in beiden Lektionen in die Bewegungsrichtung gestellt und gebogen werden und darf sich in der Wendung nicht einfach um sein inneres Hinterbein „schrauben“. Im Gegenteil muss das äußere Hinterbein kontrolliert vor das innere Hinterbein treten und Last aufnehmen, das innere Hinterbein bewegt sich dabei im Schrittrhythmus mit. „Wichtig bei Hinterhandwendung und Kurzkehrt ist die Vorwärtstendenz der Bewegung“, betont Kerstin Diacont. „Das innere Hinterbein muss Last aufnehmen und sich aktiv bewegen. Es darf sich nicht auf der Stelle drehen und in den Boden bohren. Außerdem muss die Nase des Pferdes wie bei jeder Bewegung vor der Senkrechten bleiben. Das Genick ist der höchste Punkt, die Schulter ist frei. Ist das nicht der Fall, wird sich das Pferd hinter dem Zügel verkriechen.“
Für den Reiter hat Kerstin Diacont einen Tipp, wie ihm die Wendungen korrekt gelingen: „Ganz wichtig ist, dass der Reiter seinen Kopf in Bewegungsrichtung dreht. In diesem Fall wäre das eine 90-Grad-Drehung. Die Schultern dürfen sich dabei allerdings nicht oder nur wenig mitdrehen, da ansonsten der innere Gesäßknochen, der in Bewegungsrichtung vorgeschoben werden muss, nach hinten wandern würde. Dadurch käme die äußere Hüfte beziehungsweise der äußere Gesäßknochen nach vorn und würde dem Pferd signalisieren, dass es nach außen laufen soll. Der Reiter sollte eher die Idee haben, dass seine komplette innere Seite, also Schulter, Hüfte und Hand, in der Wendung vorn bleibt. Der äußere Zügel begrenzt die Schulter des Pferdes und verhindert, dass es nach außen wegdrängelt oder über die Schulter ausbricht.“ Der innere Schenkel des Reiters liegt treibend am Gurt und sorgt außerdem dafür, dass das innere Hinterbein nicht nach innen ausweicht. Der äußere, verwahrende Schenkel erhält die Vorwärtstendenz.

Wie andere Lektionen auch seien Hinterhandwendung und Kurzkehrt kein Selbstzweck, sondern hätten einen hohen Wert für die Ausbildung von Reiter und Pferd. Das Pferd lerne, seine äußere Seite stärker zu dehnen, mit dem inneren und äußeren Hinterbein Last aufzunehmen und der körperlichen Ausrichtung des Reiters zu folgen, führt Kerstin Diacont aus. Dem Reiter hingegen bringe die Beschäftigung mit diesen Lektionen bei, sich im Raum zu orientieren sowie sein Becken auszurichten, den Kopf richtig zu drehen sowie die Haltung des Pferdes am äußeren Zügel zu kontrollieren und ihm mit dem inneren Zügel die Richtung zu weisen.

Wer sich mit Kurzkehrt und Hinterhandwendung befassen will, sollte schon die ein oder andere reiterliche Voraussetzung mitbringen. Während das Pferd geradegerichtet sein, sich in den Anfängen versammeln lassen und zudem möglichst bereits Schulterherein und Travers im Schritt beherrschen sollte, ist es für den Reiter hilfreich, wenn er eine Idee davon hat, wie die Gesamtbewegung von Kurzkehrt und Hinterhandwendung aussehen und sich anfühlen sollte. „Der Reiter muss die Orientierung im Raum behalten, das heißt er muss sich ständig vorstellen können, auf welcher gedachten Linie sich das Reiter-Pferd-Paar in der abgegrenzten Bahn bewegt. Beispiel Kurzkehrt: Der Reiter reitet auf einer geraden Linie, indem er einen bestimmten Punkt fokussiert und auf diesen zureitet. Für das Kurzkehrt dreht er seinen Kopf um 90 Grad zur Seite und stellt sich vor, dass die Hinterbeine des Pferdes einen kleinen Kreis beschreiben und die Längsachse des Pferdes seiner Kopfdrehung folgt. Hat das Pferd um 180 Grad gedreht, fokussiert er einen neuen Punkt am Ende der vorgestellten neuen Geraden“, sagt Kerstin Diacont. „Zudem muss der Reiter deutlich die innere, führende von der äußeren, kontrollierenden Hand trennen können und immer genau wissen, wie sein Becken ausgerichtet ist und wohin seine Gesäßknochen zeigen.“

Am Anfang des Trainings von Kurzkehrt und Hinterhandwendung ist es ratsam, erst mit kleineren Wendungen, beispielsweise einer Viertel-Wendung, zu beginnen. Hilfreich ist auch, die Wendungen aus einer Volte heraus einzuleiten, zwei, drei Schritte um die Hinterhand zu wenden und danach die Volte fortzusetzen. Die Wendungen werden dann sukzessive immer mehr ausgebaut, bis das Pferd schließlich eine vollständige Wendung um die Hinterhand ausführt. Außerdem erleichtere die Idee eines „Travers im Kreis“ das Erlernen der Lektionen, wie Kerstin Diacont empfiehlt.

Die meisten Fehler, die bei Kurzkehrt und Hinterhandwendung entstehen, beruhen nach Kerstin Diaconts Erfahrung darauf, dass die Reiter ein mangelndes Verständnis von der Bewegung beider Lektionen als Vorwärtsbewegung hätten. Während nämlich ein leichtes Vortreten in der Wendung durchaus erlaubt ist, wird das Zurücktreten negativ gewertet, zeigt es doch, dass das Pferd sich den vorwärtstreibenden Hilfen entzieht und sein Reiter mit den Zügeln rückwärts einwirkt. Hier hilft es, in der Wendung deutlich nach vorwärts zu denken. Dreht das Pferd hingegen mit dem inneren Hinterbein auf der Stelle statt auf- und abzufußen, klappt das Zusammenspiel zwischen vorwärtstreibenden Hilfen und begrenzendem äußeren Zügel noch nicht. Weitere Fehler entstehen, wenn der Reiter versucht, das Pferd mit den Zügeln in die Wendung zu ziehen, oder wenn er den inneren Zügel festhält. In all diesen Fällen rät Kerstin Diacont, die Hinterhand einen kleineren oder größeren Kreis beschreiben zu lassen und nicht auf der Stelle zu verharren. „Die Vorwärtstendenz muss unbedingt erhalten werden“, fährt sie fort. „Außerdem sollte der Reiter mehr aus der Mitte heraus reiten. Damit meine ich, dass er die Energie gedanklich aus der Bauchmitte in Bewegungsrichtung nach vorn-oben ausrichten sollte. Der Reiter soll das Pferd gedanklich vor sich bringen: Die Schulter wird frei und die Hanken beugen sich. Haltung und Versammlung werden nicht mit den Zügeln hergestellt, sondern mit Körperspannung und einer Idee von der richtigen Bewegung und Energiesteuerung.“ Hilfreich sei es auch, die Lektionen Schritt für Schritt zu reiten und die Anforderungen langsam zu steigern.

In Dressurprüfungen der Klasse A werden weder Kurzkehrt noch Hinterhandwendung abgefragt. Dennoch rät Kerstin Diacont auch Reitern auf A-Niveau, sich mit diesen Lektionen zu befassen – vor allem dann, wenn sie sich weiterentwickeln wollen und ein L-Niveau anstreben. „Kurzkehrt und Hinterhandwendung verbessern die Kontrolle über die Beine des Pferdes und die Lastaufnahme der Hinterhand hinsichtlich der leichteren Versammlung, die in L-Prüfungen gefordert ist“, erklärt sie. „Wer das Ziel hat, sich und sein Pferd auf L-Niveau auszubilden, der sollte beide Lektionen daher ins Training aufnehmen. Der Reiter darf dabei nicht versuchen, die Lektionen mit vermehrter Handeinwirkung und klemmendem Schenkel beziehungsweise Sporeneinsatz zu erreichen. Am Wichtigsten sind in meinen Augen die Orientierung im Raum und die Idee der Bewegung im Raum. Ich beobachte immer wieder Reiter, die nicht hinschauen, wohin sie reiten, und so ihrem Pferd auch keine Orientierung geben.“
Wer Dressurprüfungen der Klasse L bestreiten will, in denen Hinterhandwendung und Kurzkehrt eine Schlüsselstellung haben, sollte sich auch damit vertraut machen, was Richter sehen wollen – und was nicht. „Bei Hinterhandwendung und Kurzkehrt legen Richter Wert darauf, dass die Hinterhand aktiv mittritt und das innere Hinterbein Last aufnimmt. Die Schulter des Pferdes muss frei, das Genick der höchste Punkt sein. Außerdem soll die Bewegung eine Aufwärtstendenz zeigen. Das Pferd darf nicht ‚in den Boden laufen‘“, erläutert Kerstin Diacont die wichtigsten Bewertungspunkte. „Die Einwirkung von Hand und Schenkel sollte möglichst wenig sichtbar sein. Das Pferd darf nicht mit dem Schenkel irgendwohin gedrückt werden, sondern sollte der Ausrichtung des Reiterbeckens nach vorn-oben folgen. Und natürlich darf der innere Zügel nicht rückwärts ziehend eingesetzt werden.“

Auch in der weiteren reiterlichen Entwicklung spielen Wendungen auf der Hinterhand eine große Rolle. Ab der Klasse M** beispielsweise sind sie als Schritt-Pirouetten gefragt. Kurzkehrt und Hinterhandwendung bilden dafür eine gute Grundlage, da sie den Weg für eine stärkere Versammlung bereiten. „Im Quadrat können Viertel-Kurzkehrts in jeder Ecke auch im Trab und Galopp geritten werden und münden so schließlich, wenn das Pferd genug Kraft in der Hinterhand entwickelt hat, in einer Galopp-Pirouette“,
beschreibt Kerstin Diacont das Ziel. (Swea Menser)

 

Mehr Informationen zu Kerstin Diacont finden Sie auf www.diacontdesign.de
Lese- und Sehtipps:
Kerstin Diacont und Andrea Löffler: „Ausbildungsskala für den Reiter: Besseres Reiten durch gutes Körpergefühl“, Müller Rüschlikon, 2011
Kerstin Diacont: „Pferde anreiten: Schritt für Schritt Vertrauen entwickeln – Fehler vermeiden“, Müller Rüschlikon, 2011
Von Kerstin Diacont sind bei LANA-Film auch drei DVDs mit dem Titel „Einfach reiten lernen“ erschienen.

 

Dieser Artikel ist eine Leseprobe aus unserem Heft 2/2014: Von den (A)nfängen zum (L)eichten Cover: Von den Anfänge zum Leichten